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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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ansonsten laufen Indios entweder zu Fuß oder reisen auf Transportkarren.«
    Tatsächlich saß Andrés nun mit ein paar anderen Indianern beim Gepäck. Er sah sie nicht an, und sie verstand, weshalb. Im Dschungel waren sie ebenbürtig gewesen, doch nun galten wieder die Regeln einer hierarchischen Gesellschaft.
    Sie beschloss, auf eine Gelegenheit zu warten, bis sie allein mit ihm reden konnte. Seltsamerweise war es im Gefängnis einfacher gewesen als hier. Nun nahm sie Abschied von San Cristóbal de las Casas mit seiner Farbenpracht, seinen zahllosen Indianern und den hohen Gehsteigen, die sie nicht benutzen durften. Eines Tages hoffte sie zurückzukommen, denn dieser kleine Ort gehörte zu den bezauberndsten Städten, die sie kannte. Es schmerzte sie, dass sie keine Gelegenheit gehabt hatte, sich von Maria Bonita und den anderen Frauen zu verabschieden, und sie wünschte ihnen, dass sie ihre Männer ebenfalls bald freibekämen.
    Die Hazienda hatte nichts an ihrer Pracht eingebüßt. Die durch den Brand im Vorhof entstandenen Schäden waren bereits ausgebessert worden, und alles machte einen tadellos gepflegten Eindruck, so wie die Hausherrin es sich wünschte. Das Wetter war hier deutlich milder als in San Cristóbal, da Hans Bohremanns Wohnsitz nicht so hoch in den Bergen lag. Alice wurde bewusst, dass es bereits Mitte November war. Vermutlich würde sie Deutschland erst im tiefsten Winter erreichen, und sie fragte sich, ob sie die Eiseskälte überhaupt noch ertragen könnte.
    Bedienstete trugen ihren Koffer wieder in das kleine Zimmer, das vor ihr schon Patrick bewohnt hatte. Auch Marcella war sogleich wieder zur Stelle, um ihr Kaffee, Limonade und ein paar Früchte zu bringen. Julio verschwand irgendwo in den Behausungen, die seinen Leuten zur Verfügung standen. Nur Mariana blieb bei ihr. Alice kraulte das Fell ihres Hundes und sah sich wieder einmal in dem Raum um, wo sie vor etlichen Wochen die ersten Hinweise auf das Schicksal ihres Bruders entdeckt hatte. Sie wusste jetzt, wer die geheimnisvolle Indianerin auf der Zeichnung war, deren Identität ihr so viele Rätsel aufgegeben hatte. Sie hatte die uralte Kette in den Händen halten dürfen, sie dann aber wieder verloren. Nun war dieses alte Schmuckstück wieder irgendwo im Dschungel bei einem flüchtigen Archäologen, der seinen Traum von internationalem Ruhm trotzdem niemals würde verwirklichen können. Sie begriff, dass dies die größtmögliche Strafe für Dr. Scarsdale war. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, sich bis an sein Lebensende zu verstecken, würde er ein verbitterter, enttäuschter Mann bleiben. Sie sehnte sich nicht nach Rache. Auch spürte sie Patricks Gegenwart in diesem Zimmer nicht mehr so stark und schmerzhaft wie nach ihrer ersten Ankunft. Im Dschungel war sie dem toten Bruder näher gewesen als jemals zuvor und hatte Abschied von ihm nehmen können. Es war ein anderer Mensch, nach dessen Anwesenheit sie sich nun sehnte, doch sie wusste nicht, wo in diesem riesigen Haushalt er untergebracht worden war. Zudem ahnte sie, dass sie sich und auch ihn nur in Verlegenheit bringen würde, wenn sie jetzt mit allzu großer Ungeduld nach ihm zu suchen begann.
    Als Marcella ihr einen Bottich mit Wasser brachte, beschloss sie, sich erst einmal in Ruhe für das bevorstehende Abendessen fertig zu machen, bei dem sie Andrés am Tisch zu sehen hoffte.
    Er war nicht da, nur Hans Bohremann, seine Frau und Juan Ramirez warteten auf sie. Alice hatte ihr neues Kleid mit Volants angezogen und zufrieden festgestellt, dass es ihr hervorragend passte. Marcella hatte ihr kurz vor dem Abendessen unaufgefordert jene Ohrringe gebracht, die sie in San Cristóbal beim Pfandleiher versetzt hatte. Alice begriff, dass es nun an der Zeit war, sich dafür bei Hans Bohremann zu bedanken, denn er musste sie auf die Bitte von Julio hin ausgelöst haben. In dem Bewusstsein, noch auf unbestimmte Zeit ein mittelloses Anhängsel zu sein, begrüßte sie den Hausherrn und seine Familie. Vielleicht konnte sie vor ihrer Abreise anbieten, Porträts von ihnen zu malen, um sich wenigstens damit ein wenig erkenntlich zu zeigen.
    »Sie sehen gut erholt aus. Das freut mich«, sagte Hans Bohremann, als sie sich am Tisch niederließ. Es gab eine Kohlsuppe als Vorspeise, die so schwach gewürzt war, dass sie Alice an ihre Heimat erinnerte. Sie hatte fast vergessen, wie sehr Rosario bemüht war, einen deutschen Haushalt zu führen.
    »Es geht mir recht gut, vielen Dank«, erwiderte Alice

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