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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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jener grimmigen, archaischen Masken verwandelt, die sie auf Patricks Zeichnungen gesehen hatte. Alice’ Zorn wurde von einer Welle der Angst hinweggespült, sie trat nach dem kleinen Mann und protestierte laut auf Spanisch, doch er hatte inzwischen beide Arme um ihre Taille gelegt, um sie in einen Hauseingang zu zerren. Trotz seiner kleinen Gestalt verfügte er über erstaunlich viel Kraft. Mit rauer Stimme rief er unverständliche Worte, die das Getrappel von Schritten nach sich zogen. Als Alice weitere männliche Indianer herbeieilen sah, öffnete sie den Mund zu einem gellenden Schrei. Erst die Klinge eines Messers an ihrer Kehle ließ sie verstummen. Ihr wurde das Ridikül aus der Hand gerissen. Sie schloss die Augen. Wenn die vier oder fünf Indianer, von denen sie inzwischen eingekeilt war, wieder verschwänden, wäre alles nicht so schlimm. Sie hörte die Wilden in ihrer kehligen Sprache debattieren, während die Klinge weiter an ihren Hals gedrückt wurde. Schweiß floss über ihren Rücken, und sie fürchtete, sich jeden Augenblick übergeben zu müssen.
    Wieder hörte sie Schritte, laut und trampelnd, die diesmal aus der entgegengesetzten Richtung kamen. Ihr Herzschlag setzte aus. Wenn man sie nun in den Urwald oder auf ein Schiff verschleppte, würden Dr. Scarsdale und Juan Ramirez sie niemals finden können. Gruselgeschichten, die Tante Grete ihr einst über unartige, von bösen Räubern gefangene Kinder erzählt hatte, schossen ihr durch den Kopf. Sie dachte an Freudenhäuser und an Zwangsarbeit als gerechte Strafe Gottes für sündhafte Aufsässigkeit.
    »Lasst auf der Stelle die Señorita los, gottverdammtes Indianerpack!«, schrie jemand, dessen Stimme ihr bekannt vorkam. Sie schlug die Augen auf, das Messer verschwand von ihrer Kehle. Die Indios krächzten noch ein paar unverständliche Worte, dann traten sie den Rückzug an. Alice sah Benito Duarte einen Spazierstock schwingen, drei andere Männer, die ihm hinterherrannten, hatten bereits Pistolen gezückt. Es knallte. Alice presste beide Hände auf ihre Ohren, denn ihr schien, als könnte dieser Lärm die ärmlichen Hütten zum Einsturz bringen. Sie hörte einen der Indios laut aufheulen, dann verschwanden sie plötzlich alle, als wären sie in den Schlamm der Gasse eingetaucht. Erlösende Stille trat ein, für einen Moment hörte sie nichts weiter als ihren eigenen rasselnden Atem.
    »Sind Sie verletzt, Señorita? Bei Gott, wir werden diese dreckigen Indios an einem Baum baumeln lassen, wenn wir sie finden.«
    Benito Duarte hatte tröstend eine Hand auf ihre Schulter gelegt. Alice schnappte keuchend nach Luft. Allmählich ließen Schwindelgefühl und Übelkeit nach. Die Welt nahm wieder klare Formen an. Sie sah eng beieinanderstehende, ärmliche Hütten mit Strohdächern, roch verfaultes Wasser, Schlamm und Dreck. Sie wollte fort von hier.
    »Mir ist nichts geschehen. Sie wollten mit Waren anbieten, aber dann verlor ich das Interesse. Ich glaube, ein Mann wurde wütend, und dann kamen andere und … und ich weiß nicht, was sie genau wollten.«
    Sie lehnte sich gegen die Hauswand.
    »Jedenfalls haben sie mir nichts getan, nur mein Geld …«
    Sie warf einen Blick auf die stinkenden Schlammpfützen. Das kunstvoll bestickte Ridikül lag ein Stück neben ihrem rechten Fuß. Rasch hob sie es auf und schüttelte es, um die klebrige braune Flüssigkeit abtropfen zu lassen, dann öffnete sie vorsichtig den Verschluss. Das Ridikül war vermutlich verdorben, auch ihre Taschentücher würde sie wegwerfen können, doch die silberne Puderdose hatte den Sturz in den Schmutz heil überstanden, auch der lederne Geldbeutel war intakt und fühlte sich nicht leichter an. Die Indios hatten zum Stehlen keine Gelegenheit gehabt. Alice lobte sich für die weise Voraussicht, mit der sie ihre Reisepapiere im Koffer gelassen hatte, und beschloss, ihren Geldvorrat in der Herberge noch mal zu zählen.
    »Es ist eigentlich gar nichts passiert. Ich habe einen Schrecken bekommen, nichts weiter«, versicherte sie Benito Duarte. Ihr Lachen klang gekünstelt. Ihre Beine zitterten immer noch, doch sie konnte den Indios nur vorwerfen, ein Messer an ihre Kehle gehalten und ihr das Ridikül entrissen zu haben. Sie verspürte keinen Wunsch nach Rache, wollte nur den Angstschweiß von ihrem Körper waschen.
    »Ich würde jetzt gern zur Herberge gehen«, sagte sie zu ihrem Retter. Die drei Pistolenträger waren bereits in der Gasse verschwunden, vermutlich auf der Jagd nach den

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