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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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flüchtigen Indios. Nur Benito Duarte stand immer noch an ihrer Seite, ein freundlicher, alter, leicht erschöpfter Herr, dem es kaum zuzutrauen war, dass er noch vor wenigen Minuten schreiend seinen Spazierstock geschwenkt hatte.
    »Wie Sie wünschen, Señorita«, erwiderte er. »Die Behörden sollten dieses Indianerpack verfolgen, aber wenn Ihnen nichts geschehen ist, dann ziehen wir weiter.«
    Er klang erleichtert, nicht unnötig aufgehalten zu werden. Alice folgte ihm auf den Kirchplatz zurück, wo Aurelia bereits unter den Palmen wartete. Nachdem Benito ihr von dem Vorfall erzählt hatte, stieß sie einen leisen Schrei aus und zog Alice in ihre Arme.
    »Ay dios mio, was haben Sie angestellt, so einfach mit diesen Wilden mitzugehen. Die hätten Sie umbringen können. Sie sind hier nicht in Europa.«
    Alice fühlte sich an eine scheltende Großmutter erinnert, doch es lag zu viel echte Sorge in dem Blick der alten Señora, um wütend zu werden. Sie verkniff sich auch den Hinweis, dass diese Indios wie ganz normale Straßenhändler ausgesehen hätten und dass es auch in Europa zu Überfällen kommen konnte, und ließ sich als eine in letzter Minute aus selbst verschuldeter Gefahr gerettete Schutzbefohlene zur Herberge führen. In ihrem Zimmer zählte sie das Geld und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass tatsächlich nichts fehlte. Aurelia Duarte plapperte aufgeregt weiter. Alice fehlte die Geduld, sich auf das rasche Spanisch zu konzentrieren, doch es hörte sich nach Ermahnungen an. Für gewöhnlich reagierte sie gereizt auf solch ein Verhalten, doch nun war ihre Erleichterung, unbeschadet und mit all ihren Besitztümern wieder auf ihrem Bett zu sitzen, groß. Ein schweigsames, unauffälliges Dienstmädchen trug ein Becken mit Wasser herein. Alice wusch den Angstschweiß von ihrer Haut. Aurelia Duarte wandte ihr dabei taktvoll den Rücken zu und weigerte sich standhaft, auch nur eine Schicht ihrer schwarzen Kleidung abzulegen, solange sie sich nicht allein im Raum befand. Alice zog rasch ihr cremefarbenes Sommerkleid an, denn sie verspürte den Wunsch, sich wieder in eine attraktive Europäerin zu verwandeln. Mit frisch frisiertem Haar ging sie in den Speisesaal hinab.
    Dr. Scarsdale, Benito Duarte und Juan Ramirez warteten bereits. Als Alice eintrat, sprang Juan auf und lief ihr entgegen.
    »Madre de dios, was haben Sie heute angestellt, Alice?«
    Seine Finger bohrten sich in ihre Schultern. Sie wich unwillig zurück, doch sie konnte in dem zornigen Funkeln seiner Augen Sorge und Angst erkennen.
    »Miss Wegener, Sie sollten nicht vergessen, dass Sie sich hier nicht in Europa befinden«, mischte sich nüchtern Dr. Scarsdale ein. »Dieses Land ist kein Vergnügungspark, durch den Sie nach Herzenslust flanieren können.«
    »Europa ist auch kein Vergnügungspark«, gab Alice trotzig zurück. Sie kam sich vor wie ein Schulmädchen, das für unartiges Verhalten gescholten wurde. Da der Archäologe nichts erwiderte, ließ sie sich zum Essen nieder. Aurelia Duarte erschien bald darauf. Sie hatte sich nicht umgezogen, und Alice nahm beißenden Schweißgeruch wahr, der den Gestank des Mottenpulvers verdrängte. Die alte Señora schien ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, zu eigen und empfindsam, um deshalb verlacht zu werden.
    Alice verschlang die üblichen Tortillas und ein Gemisch aus Hackfleisch und Bohnen und spülte alles mit einem großen Becher Bier hinunter. Müde geworden, entschuldigte sie sich und ging zurück in ihr Zimmer.
    Der Koffer sah unberührt aus. Alice fiel erleichtert auf ihr schmales Bett, hörte Federn quietschen und meinte, in unergründlichen Tiefen zu versinken. Dennoch tat es gut, so weich zu liegen. Sie schloss die Augen, zu erschöpft, um die Gaslampe auszudrehen. Aurelia Duarte würde sicher bald kommen und dankbar für das Licht sein.
    Die Gesichter der Indios tauchten vor ihr auf, breit, dunkel und grimmig. Sie sah das gierige Funkeln, spürte die Hand, die ihr das Ridikül entrissen hatte. Dies also waren die Leute, von denen Patrick getötet worden war. Sie fuhr kurz auf, rieb sich die Augen und zog die Decke über ihren Kopf, um endlich schlafen zu können.
    Am nächsten Morgen erfuhr Alice, dass es ein Stück mit der Eisenbahn weitergehen sollte, die von Minatitlán nach Tenhuatepec fuhr. Es erleichterte sie, nicht völlig abgeschnitten von sämtlichen Errungenschaften moderner Technik zu sein, zumal sie davon ausging, einen derartigen Zustand eine Weile in Chiapas hinnehmen

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