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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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Ansichten.«
    »Meinungen gehen eben oft auseinander«, erwiderte Alice und fuhr fort:
    »Aber an diesem Abend ging ich später ins Bett als Sie. Und da, verzeihen Sie mir bitte, da sah mein Koffer durchwühlt aus. Und ich dachte …«
    Sie bemerkte, wie die Augen der alten Dame sich ungläubig weiteten.
    »Ich habe natürlich nicht gedacht, dass Sie mich bestehlen wollten«, fügte sie hastig hinzu. »Aber vielleicht gab es einen Grund, ich meine, vielleicht brauchten Sie dringend etwas, und ich war nicht da und daher…«
    »Aber Sie waren doch da!«, unterbrach die Señora sie plötzlich. »Sie waren kurz in dem Zimmer. Ich wachte von einem Geräusch auf, da sah ich, dass Ihr Koffer geöffnet worden war, und bemerkte gerade noch, wie jemand hinausging. Ich dachte, Sie hätten noch etwas holen wollen.«
    Alice schüttelte sich.
    »Aber Sie sahen nicht mich, ich meine, Sie haben mich nicht erkannt?«
    Aurelia Duarte verschloss ihren Koffer.
    »Ich sah nur eine Gestalt hinausgehen. Ich hatte bereits geschlafen, und es war dunkel. Also waren Sie es nicht? Ich hoffe, Ihnen wurde nichts gestohlen, ich meine, obwohl es eine schöne Herberge war, stammte die Besitzerin von Indios ab und …«
    »Schon gut, mir wurde nichts gestohlen«, versicherte Alice. »Jetzt, da Sie darüber reden, fällt mir ein, dass ich wirklich noch mal in das Zimmer zurückgegangen bin, um … um ein bisschen Geld zu holen. Ich hatte es nur vergessen.«
    Es gab keinen Grund, die alte Dame unnötig zu beunruhigen, dachte sie und machte sich daran, ihren Koffer hinauszuschleppen. Die Staffelei und ihre übrigen Habseligkeiten waren bereits auf den Karren verladen worden, der sie alle gemeinsam zum Bahnhof bringen würde.
    »Gott sei Dank hatten Sie kein Geld im Koffer«, sagte Aurelia Duarte leise. »Ich hatte Ihnen ja damals geraten, es nicht darin liegen zu lassen.«
    Alice konnte sich an keinen derartigen Rat erinnern, widersprach aber nicht, denn sie wollte sich in Frieden von dieser großmütterlich fürsorglichen Mexikanerin trennen. Aurelia Duarte zog eine kleine Kette aus ihrem Beutel.
    »Hier, nehmen Sie das. Es soll Ihnen Glück bringen. Und passen Sie während des Rests Ihrer Reise gut auf sich auf.«
    Alice nahm die Gabe höflich an, dann schleppten sie beide ihr Gepäck in den Gang, wo es von einem Diener abgeholt wurde.
    Sie saß bereits in dem Zug, als sie endlich die Zeit fand, das Geschenk wieder aus ihrem Ridikül zu ziehen und eingehend zu mustern. Es war eine schlichte Silberkette, an der das Bildnis einer Heiligen baumelte, vermutlich der Jungfrau Maria. Harry hätte es nur ein spöttisches Lachen entlockt, denn es strahlte in kräftigen, grellen Farben wie fast alles in diesem Land und erinnerte an die Zeichnung eines Kindes. Doch Alice fand Gefallen an der mexikanischen Kunst.

Es regnete fast während der ganzen Zugfahrt, und Alice war erleichtert, nicht in einem Karren sitzen zu müssen. Die an ihnen vorbeiziehende Landschaft verschwand dadurch hinter einem Dunstschleier. Alice musterte das glänzende Grün des Regenwalds, in den sie eindrangen, sah Scharen leuchtend bunter Vögel vor der herandonnernden Bahn auffliegen und musterte sumpfige Gewässer, aus denen manchmal verdächtig nach Alligatorenschwänzen aussehende, grün geschuppte Gliedmaßen auftauchten. Hinter der Sicherheit einer geschlossenen Fensterscheibe schien diese Welt über magischen Zauber zu verfügen, lockte durch ihre Farbenpracht und ungezügelte Wildheit. Alice versuchte vergeblich, sich die Farbtöne und Formen unbekannter Blüten zu merken, um sie zu einem günstigen Zeitpunkt auf die Leinwand übertragen zu können, denn es waren zu viele Eindrücke. Allerdings hielt sich ihr Verlangen, der überschaubaren Sicherheit des Abteils zu entkommen und sich unmittelbar in jene aufregend fremde Wildnis zu begeben, in Grenzen.
    Gelegentlich hielt der Zug an winzigen Ortschaften, die nur aus ein paar Hütten zu bestehen schienen. Indios kamen herbeigeeilt, um durch das Fenster Wasser, Pozol und auch ein milchig weißes Getränk namens Pulque zu verkaufen, einen aus dem Saft von Agaven gewonnenen Schnaps, der beim einfachen Volk offenbar weitaus beliebter war als der Alice bereits bekannte Tequila. Auf das Drängen von Juan Ramirez hin nahm sie einen der hölzernen Becher und nippte vorsichtig an der Flüssigkeit. Bitterer Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus. Sie musste husten wie meist, wenn sie starken Alkohol trank.
    »Dieses Getränk gibt es

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