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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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»Die Frau könnte neben mir in unserem Wagen sitzen. Dann hat das alte Maultier weniger Last zu schleppen und kommt vielleicht schneller voran.«
    Kurz überlegte sie, ob Dr. Scarsdale über ihre Einmischung verärgert sein könnte, nachdem sie sich ihm ja schon selbst als Mitreisende aufgedrängt hatte, doch er zerzauste nur nachdenklich sein dünnes Haar und nickte.
    »Na gut, dann versuchen wir es auf diese Weise. Vielleicht können die beiden noch ihre zwei Koffer auf unseren Lastkarren legen, um ihr Maultier zu schonen.«
    Alice atmete erleichtert auf, da sich der Archäologe nicht nur für uralte Tonfiguren interessierte. Juan Ramirez übersetzte den Vorschlag ins Spanische, und die zwei alten Leute nahmen nach kurzer Unterhaltung an. Die Señora schenkte Alice sogar ein freundliches Großmutterlächeln, als sie zu ihr in den Wagen kletterte. Den Streit über die Indios vom Vorabend hatte sie entweder bereits vergessen oder lastete ihn den Fremden nicht an. Alice dachte einen Augenblick lang an den durchwühlten Koffer, schob die Erinnerung aber beiseite. Nichts von ihren Habseligkeiten war verschwunden, wie sie heute Morgen festgestellt hatte. Vielleicht hatte sie den Koffer selbst in diesem Zustand zurückgelassen, erschöpft von der Reise und verwirrt durch zahllose neue Eindrücke. Sie nahm den Geruch von Mottenpulver wahr, als die Señora ihre schwarzen Röcke auf dem Sitz ausbreitete, und hoffte, er würde mit der Zeit nachlassen. Die Sonne brannte bereits erbarmungslos, doch es wehte auch ein frischer Wind. Frederick und Elaine Palmer waren wieder auf dem Hof erschienen, um ihre einzigen Gäste zu verabschieden. Alice wünschte ihnen von Herzen, dass es bald andere Reisende in diesen kleinen Ort verschlagen würde, denn sie hatte hier eine angenehme Zeit verbracht. Wieder sah sie die zahlreichen Tiere der Hausbesitzer um ihren Karren herumspringen, als seien auch sie gekommen, um Abschied zu nehmen. Links neben ihr hockte der kleine schwarze Affe, von dem sie gestern noch in die Flucht geschlagen worden war. Nun, da er neugierig zu ihr hochblickte, schien er plötzlich wieder ein harmloses, possierliches Wesen. Alice griff in den Beutel mit Früchten, den Elaine ihr als Reiseproviant mitgegeben hatte, und warf ihm eine Mango zu. Der Affe verzehrte ihre Gabe, während sie aus dem Hof hinaus und über die staubigen Straßen des Ortes fuhren, um wieder in die freie Natur zu ziehen. Alice stellte fest, dass sie dem neuen Tag freudig aufgeregt entgegensah.
    Eine Woche verging, bis sie Minatitlán, die erste größere Stadt nach Veracruz, erreichten. Alice erfuhr unterwegs, dass die alte Señora Aurelia Duarte hieß und ihr ganzes Leben in Ciudad de México, der Hauptstadt des Landes, zugebracht hatte. Ihr Mann namens Benito war dort Schullehrer gewesen, bis er vor drei Monaten in den Ruhestand getreten war. Aurelias einzige Tochter Carmen hatte ihr Herz an einen Studenten der Rechtswissenschaften verloren, dem sie bereits vor zehn Jahren in seine Heimatstadt Campeche gefolgt war. Aurelia beschrieb mit nervösem Hüsteln die ständigen Gefahren, denen ihre Tochter in dieser abgelegenen, noch reichlich unzivilisierten Region ausgesetzt war, wo Indios immer wieder Reisende und kleine Ortschaften überfielen. Internationale Hilfe war nötig gewesen, um eine Rebellion blutrünstiger Stammeshäuptlinge niederzuschlagen, die vor fünfzig Jahren die ganze Halbinsel Yucatán bedroht hatten. Trotz der Aufregung, die Aurelias Stimme mitunter erzittern und dann wieder ein paar Oktaven in die Höhe schießen ließ, gab sie sich große Mühe, langsam und deutlich spanisch zu sprechen, was Alice dabei half, diese Sprache allmählich zu lernen. Juan Ramirez kommentierte ihre Ausführungen gelegentlich, doch da er noch nie in Yucatán gewesen war, konnte er nicht allzu viel beitragen. Dr. Scarsdale, der Aurelia Duartes Wortschwall lästig zu finden schien, meinte, dieser Aufstand sei die unausweichliche Eskalation einer lange gärenden Spannung gewesen, die durch Unterdrückung der indianischen Bevölkerung entstanden sei. Aurelia zeigte sich von seiner Erklärung nicht sehr angetan, doch sie schien großen Respekt vor akademischen Titeln zu hegen, sodass sie diese Worte mit missmutigem Blick hinnahm. Schließlich nahm sie eine sorgfältig verschlossene Lederflasche und zwei Holzbecher aus ihrem Beutel. Ein köstlich süßer Duft drang wie ein Geist aus der Flasche, sobald sie geöffnet worden war, und dickflüssige

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