Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
Vom Netzwerk:
Gabeln.
    Und was das Fett angeht, sagte Frank. Da müsse er mir noch einiges dazu erklären.

    Einige Leute nehmen Butter, weil es am besten schmeckt. Andererseits macht Schweineschmalz den Teig besonders locker. Das ist einer der großen Streitpunkte beim Pie-Backen, Henry, sagte Frank. Dein ganzes Leben lang wirst du Leute treffen, die entweder den einen oder den anderen Standpunkt vertreten, und die wirst du ebenso wenig überzeugen können, zur anderen Seite überzuwechseln, wie man einen Demokraten überreden kann, Republikaner zu werden und umgekehrt.
    Und was nahm er?, wollte ich wissen. Schmalz oder Butter? Erstaunlicherweise fand sich in unserer Speisekammer sogar Schmalz – allerdings kein echter Schmalz, wie Frank ihn gerne gehabt hätte, sondern pflanzliches Fett, gekauft von meiner Mutter, nachdem sie beschlossen hatte, Kartoffelchips selbst zu machen. Wir kriegten damals etwa zehn Chips zustande, dann wurde sie müde und musste sich ins Bett legen. Was sich jetzt als günstig erwies, weil die blaue Dose immer noch im Regal stand und ich davon ausging, dass Frank nicht der Butter-Fraktion angehörte.
    Ich nehme beides, sagte er, fuhr mit dem Spatel durch das schimmernde weiße Backfett und ließ den Klumpen in die Schüssel mit dem Mehl fallen. Und die Butter war ihm so wichtig, dass er mich eigens zu den Nachbarn schickte, um welche zu borgen. So etwas hatten meine Mutter und ich noch nie gemacht. Obwohl es mich ein bisschen Überwindung kostete, fühlte ich mich gut dabei, als sei ich eine Figur aus einer Fernsehserie der guten alten Zeit, in der Nachbarn sich gegenseitig besuchten und schöne Sachen zusammen machten. Als seien wir ganz normale Leute.

    Als ich mit der Butter zurückkam, zerschnitt Frank fast das ganze Stück in Flocken und verteilte sie auf dem Mehl. Als ich ihn nach der Menge fragte, schüttelte er nur den Kopf.
    Alles nach Gefühl, Henry, sagte er. Wenn du dich zu sehr nach Rezepten richtest, verlierst du die Fähigkeit, mit deinen Nervenenden zu spüren, was nötig ist. Das gelte auch für Leute, meinte er, die Bücher läsen über Nolan Ryans Art und Weise, einen Fastball zu werfen, oder für Gärtner, die versuchten, die beste Methode zur Tomatenzucht aus Büchern zu lernen, anstatt einfach rauszugehen und Dreck unter die Fingernägel zu kriegen.
    Deine Mutter könnte dazu aus der Welt des Tanzens bestimmt auch das ein oder andere Beispiel beisteuern, sagte Frank. Und aus anderen Bereichen, auf die wir jetzt nicht eingehen wollen.
    Er schaute zu ihr hinüber, und sie sah ihn an, ohne den Blick abzuwenden.

    Aber eins wolle er mir noch erklären, sagte er, und das habe mit Babys zu tun. Er sei wahrlich kein Experte auf diesem Gebiet, aber vor langer Zeit, als er sich um seinen kleinen Sohn kümmerte, da habe er am nachdrücklichsten gelernt, wie sehr man auf sein Gefühl hören soll. Die Situation mit allen fünf Sinnen und dem Körper erspüren, nicht mit dem Verstand arbeiten. Wenn ein Baby in der Nacht weint, geht man hin und nimmt es in den Arm. Kann sein, dass es da schon so rot ist wie ein Radieschen oder nicht mehr richtig Luft kriegt, weil es so verzweifelt schreit. Soll man da etwa
ein Buch aus dem Regal nehmen und nachlesen, was die Experten dazu sagen? Nein.
    Man berührt das Baby und reibt ihm den Rücken. Pustet in sein Ohr. Wiegt es im Arm und geht mit ihm nach draußen in die Dunkelheit, wo es den Mond anschauen kann. Vielleicht pfeift man auch. Tanzt. Summt. Oder betet.
    Manchmal ist es auch einfach nur frische Luft, die gebraucht wird. Oder dass man dem Kind eine warme Hand auf den Bauch legt. Und manchmal tut man am besten auch gar nichts. Man muss nur einfach aufmerksam sein. Ganz ruhig werden. Den Rest der Welt ausblenden, der dann nicht wichtig ist. Erspüren, was in diesem Moment das Richtige ist.
    Was – auf den Pie angewandt – manchmal bedeutete, dass man mehr Schmalz als Butter nehmen musste. Manchmal aber auch mehr Butter als Schmalz. Die Wassermenge musste selbstverständlich auch variiert werden, je nach Wetterlage. Und natürlich musste es Eiswasser sein.
    Du musst so wenig Wasser wie möglich nehmen, sagte Frank. Die meisten Leute benutzen viel zu viel. Damit kriegen sie natürlich eine perfekte Teigkugel, aber das bringt ihnen nichts, denn nach dem Backen bleibt der Teig zu weich. Du weißt, was ich meine. Das ist dann die Art von Teig, die wie Pappe schmeckt.
    Das eine dürfe ich nie vergessen: Man könne immer mehr Wasser zugeben, aber man

Weitere Kostenlose Bücher