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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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könne es nicht mehr rausnehmen. Je weniger Wasser, desto luftiger der Pie.
    Ich hörte Frank ziemlich aufmerksam zu, während er mir das alles erklärte und sich dabei ganz und gar auf mich und
den Pfirsich-Pie konzentrierte. Er konnte so konzentriert wirken, als gäbe es den Rest der Welt gar nicht.
    Frank sprach so eindringlich über das Pie-Backen, dass es mir geradezu schwerfiel, ihm nicht zuzuhören. Aber dann und wann schaute ich doch zu meiner Mutter hinüber, die an der Küchentheke stand und uns zusah.
    Sie sah so verändert aus, als sei sie auf einmal ein ganz anderer Mensch.
    Zum einen wirkte sie viel jünger. Mit einem Pfirsich in der Hand lehnte sie an der Theke. Ab und an biss sie ein Stück von dem Pfirsich ab, und weil er so reif war, rann ihr der Saft übers Kinn und tropfte auf die geblümte Bluse, aber meine Mutter schien es gar nicht zu merken. Sie nickte uns zu und lächelte und sah aus, als ob es ihr richtig gut ginge. Wenn ich zuerst sie und dann Frank anschaute, hatte ich das komische Gefühl, dass zwischen den beiden Strom floss. Als gebe es da eine besonders hohe Frequenz, die nur wenige Menschen hören konnten. Nur diese beiden.
    Frank sprach zu mir. Aber die Botschaft schickte er an sie. Und sie kam bei ihr an.

    Dabei hatte er seine Pie-Lektion noch keineswegs beendet, sondern erzählte mir gerade, dass man in der Mitte des Teigs eine Kuhle machen und erst einmal gerade genug Eiswasser für den Boden des Pie hinzugeben und dann den Teig zu einer Kugel rollen sollte – keiner perfekt runden Kugel, denn dazu bräuchte man mehr Wasser, als gut sei. Der Teig müsse nur gerade so gut zusammenhalten, dass man ihn ausrollen konnte.

    Wir hatten kein Nudelholz, aber das sei kein Problem, meinte Frank, wir könnten einfach eine Weinflasche ohne Etikett benutzen. Er zeigte mir die Bewegungen – kurzes kräftiges Rollen von der Mitte nach außen. Dann sollte ich es selbst probieren. Man lernt nur, wenn man etwas selbst macht, sagte er.
    Aber als wir unseren Teig auf der Theke ausrollten, schien der gar nicht zusammenhalten zu wollen. Er nahm nicht mal die Form eines Kreises an. Es gab Stellen, an denen er sogar auseinanderriss, aber die fügte Frank mit dem Handballen wieder zusammen.
    Handballen, sagte er. Hat die ideale Beschaffenheit und Temperatur. Da kaufen sich die Leute diese ganzen schicken Gerätschaften, obwohl das beste Gerät zu ihrem eigenen Körper gehört. Und es ist buchstäblich immer zur Hand.
    Für den Boden des Pie ließ sich der Teig problemlos in die Backform befördern. Wir hatten ihn auf Backpapier ausgerollt, und er war jetzt dünn genug für Franks Geschmack und hatte auch keine Löcher mehr. Frank legte den Boden der Backform auf den Teig, dann drehte er das Ganze um und zog das Backpapier ab. Alles prima.
    Ich durfte die Füllung übernehmen. Zuerst sollte ich den Zucker über die Pfirsiche streuen, dann etwas Zimt.
    Wäre toll, wenn wir jetzt Maniokstärke hätten, zum Saftaufsaugen, sagte er. Und wer sagt’s denn: Wir hatten tatsächlich welche.
    Das war die Spezialzutat meiner Großmutter, sagte er. Wenn du davon ein bisschen was auf dem Boden verteilst,
bevor du die Füllung draufgibst – nur grade so viel, wie man im Winter Salz auf Glatteis streut –, kriegst du nie wieder einen matschigen Boden. Das Zeug nimmt den Saft auf, ohne dass man diesen Maisgeschmack von gewöhnlichem Stärkemehl hat. Du weißt, was ich meine, oder, Henry? Diese Pies, die so klebrig sind wie das Innere von einem gefüllten Keks.
    Ich wusste genau, was er meinte. Wir hatten vermutlich hunderte von solchen Pies in unserer Tiefkühltruhe.
    Dann ging es an den Teigdeckel.
    Der muss stabiler sein als der Boden, weil wir ihn hochheben müssen, erklärte Frank. Aber auch da gilt noch die Regel: Es ist leichter, Wasser zuzugeben als welches wegzunehmen.
    Ich warf einen Blick zu meiner Mutter hinüber. Sie sah Frank an, was er wohl gespürt hatte, denn auch er blickte auf.
    Komisch, mit diesen Ratschlägen, sagte er. Jemand kann seit fünfundzwanzig Jahren aus deinem Leben verschwunden sein, aber was er gesagt hat, bleibt in deinem Kopf.
    Den Teig nicht zu lange kneten, das hatte seine Großmutter auch immer gesagt.
    Wir rollten den Teig für den Deckel aus, ebenfalls auf Wachspapier. Diesmal allerdings konnte man die Backform nicht auf den Teig legen, weil sie schon mit Pfirsichen gefüllt war. Also mussten wir den Teig vom Papier lösen und ihn auf den Pie bugsieren. Für einen kurzen Moment

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