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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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würde unser lockerer Teig, mit der kleinstmöglichen Wassermenge hergestellt, in der Luft schweben. Wenn man dabei
zögerte, würde er reißen. Wenn man ihn zu schnell bewegte, verlor er die Form.
    Man braucht eine ruhige Hand, aber auch ein ruhiges Herz dafür. In diesem Moment geht es um Glauben und Zuversicht, sagte Frank.
    Bis jetzt hatten nur Frank und ich gearbeitet, und meine Mutter hatte zugeschaut. Jetzt legte Frank ihr die Hand auf die Schulter.
    Ich denke, du kannst das, Adele, sagte er.
    Vor einiger Zeit – ich wusste gar nicht mehr, wie lange es schon her war – hatten die Hände meiner Mutter zu zittern begonnen. Wenn sie ausnahmsweise frisches Gemüse oder Obst schneiden sollte wie heute, zitterte ihre Hand mit dem Messer manchmal so heftig, dass sie es weglegte und sagte, Ich denke, wir essen Suppe heute Abend. Was meinst du, Henry?
    Wenn sie mal Lippenstift benutzte – bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen wir das Haus verließen –, war der meist nicht ganz sauber aufgetragen. Vermutlich hatte sie auch aus diesem Grund das Cellospielen aufgegeben. Am Bund hatte sie ein natürliches Vibrato, aber den Bogen konnte sie nicht ruhig halten. Auch was sie heute Nachmittag getan hatte – Franks Hose zu nähen –, war sehr anstrengend für sie. Einen Faden in die Nadel einzufädeln ganz unmöglich. Das übernahm ich immer.
    Jetzt trat meine Mutter zu Frank, der vom Ausrollen noch die Weinflasche in der Hand hielt.
    Ich will’s versuchen, sagte sie, nahm den Teiglappen zwischen Daumen und Zeigefinger und legte ihn so auf den
Pie, wie Frank es ihr gezeigt hatte. Er stand ganz dicht bei ihr, und sie hielt den Atem an. Der Teigfladen landete genau an der richtigen Stelle auf den Pfirsichen.
    Wunderbar, Süße, sagte er.
    Dann zeigte er mir, wie man den Teigdeckel an den Seiten durch Zusammendrücken mit dem Rand verbinden musste. Wie man den Deckel mit Milch bepinselte und mit Zucker bestreute und mit einer Gabel an drei Stellen einstach, damit der Dampf entweichen konnte. Danach schob er den Pie in den Backofen.
    In einer Dreiviertelstunde werden wir einen fertigen Pfirsich-Pie haben, sagte er. Meine Großmutter hat immer gesagt: Nicht mal der reichste Mann von Amerika wird heut Abend einen köstlicheren Pie essen als wir. Das gilt für uns heute auch.
    Ich fragte ihn, wo seine Großmutter jetzt war.
    Im Jenseits, sagte er. Und hörte sich dabei an, als sollte ich lieber nicht weiterfragen.

8
    In diesem Sommer hatte mein Körper sich verändert. Ich war nicht nur größer geworden, sondern hatte auch eine tiefere Stimme bekommen. Die hing allerdings in einem Zwischenbereich fest, so dass ich nie genau wusste, ob etwas in der alten höheren Stimme oder in der neuen tieferen herauskommen würde. Meine Schultern waren so schmal wie eh und je, aber mein Hals war etwas kräftiger geworden, und auf meiner Brust und weiter unten, in der Gegend, für die ich keine Worte hatte, sprießten Haare.
    Und dort hatte ich mich auch noch anderweitig verändert. Ich hatte meinen Vater nackt gesehen und mich meines eigenen Körpers geschämt. Hänfling, hatte er lachend zu mir gesagt. Auch Richard hatte ich in der Dusche gesehen, und der Anblick hatte mir bestätigt, was ich schon geahnt hatte: Mit mir stimmte etwas nicht. Ich war ein Junge, der von einer Frau großgezogen wurde. Ich war ein Junge, der von einer Frau großgezogen wurde, die Männer für selbstsüchtig, untreu, unzuverlässig und rücksichtslos hielt. Früher oder später würde einem immer von einem Mann das Herz gebrochen. Und was bedeutete das für mich, das einzige Kind meiner Mutter, einen Jungen?
    Im Frühling war es zum ersten Mal passiert: diese Verhärtung
im Schritt, an meinem Geschlechtsteil – das war das Wort, welches meine Mutter benutzte –, das sich in den sonderbarsten Momenten plötzlich aufbäumte, ohne dass ich Einfluss darauf hatte. Rachel McCann ging zur Tafel, um eine Matheaufgabe zu lösen, und ihr Rock rutschte hoch, oder ich sah Sharon Sunderlands Höschen, weil sie bei der Schülerversammlung eine Reihe höher saß als ich, oder einen herausgerutschten BH-Träger oder die Schnalle eines BHs, die sich bei dem Mädchen vor mir unter dem T-Shirt abdrückte, oder meine Sozialkunde-Lehrerin, Ms. Evenrud, beugte sich über meinen Tisch, um zu sehen, wie ich meine Bibliografie angelegt hatte – und wieder passierte es, als sei in meiner Hose ein ganz neuer Körperteil zum Leben erwacht, wo vorher nur ein nutzloses Anhängsel

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