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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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eingespannt wirst.
    Ist schon okay, Oma, sagte er zu ihr. Er war grade einundzwanzig
geworden und verheiratet mit einer Frau, die ihre Nachmittage vor dem Fernseher verbrachte und sich am Telefon mit ihrer Schwester über die Figuren aus All My Children unterhielt. Nach dem ersten Wirbel bei seiner Rückkehr aus Vietnam hatte sie jegliches Interesse an Sex verloren, aber Frank hoffte immer noch, dass sich das wieder ändern würde, wenn das Baby erst da war. Unlängst hatte sie ihm gesagt, wenn seine Großmutter ihnen einen Teil vom Grundstück abgeben würde, könnten sie ein Stück davon verkaufen und sich einen Wohnwagen zulegen. Was für eine Zukunft hatte man denn überhaupt mit dem Verkauf von Christbäumen? Glaubte er etwa, sie wolle den Rest ihres Lebens mit einem Mann zubringen, der jeden Abend mit Harz an den Händen nach Hause kam?
    Seien wir doch mal ehrlich, hatte sie gesagt, heutzutage kaufen sich die Leute doch sowieso künstliche Bäume. Dann müssen sie nur einmal Geld ausgeben und haben keinen Ärger mit den Nadeln, die hinterher den Staubsauger verstopfen.
    Jetzt saß Frank im Wartezimmer, während seine Frau nebenan ihr Kind zur Welt brachte, und merkte, dass er zum ersten Mal seit seiner Rückkehr mit seiner Großmutter alleine war. Vorher war er die ganze Zeit mit Mandy und dem Baby beschäftigt gewesen: heiraten, all diese Sachen einkaufen.
    Du hast mir nie richtig erzählt, wie es da drüben war, sagte seine Großmutter, womit sie den Dschungel und sein Leben als Soldat meinte. Ich kenne nur die Fotos in den Nachrichten und aus Life.

    Ziemlich genau so, wie man sich’s vorstellt, sagte er. Das Übliche. Du weißt schon. Krieg eben.
    Dein Großvater war genauso, erwiderte sie. Jedes Mal, wenn ich gefragt habe, was er im Pazifikkrieg erlebt hat, fing er an, über eine neue Klinge für den Mähdrescher oder über die Hühner zu reden.
    Ziemlich zu Beginn der Wehen hatte man Mandy eine Rückenmarksbetäubung angeboten, und sie hatte sie dankbar in Anspruch genommen. Später in der Nacht kam eine Krankenschwester heraus und zeigte Frank seinen Sohn.
    Die ganze Zeit hatten sie so viel über die Wiege, den Kinderwagen, den Autositz, die Kleider geredet, dass Frank beinahe vergessen hatte, dass es am Ende von alldem auch ein Baby geben würde. Und jetzt legte man ihm den kleinen, zappelnden Francis Junior in einer Decke in die Arme. Eine winzige Hand, die aus dem Stoff herausragte, mit langen rosa Fingern und Nägeln, die aussahen, als müssten sie jetzt schon geschnitten werden. Noch bevor Frank das Gesicht seines Sohnes sah, streckte sich ihm diese winzige Hand entgegen, als wolle der Kleine winken oder um etwas bitten.
    Francis Junior hatte dichte Haare – erstaunlicherweise rot – und einen langen Körper. Über seinem Nabel war noch eine Binde befestigt, und er hatte einen winzigen wohlgeformten Penis – noch nicht beschnitten, anders als der von Frank – mit erstaunlich großen runden Hoden. Seine Ohren sahen aus wie kleine Muscheln. Er hatte die Augen geöffnet, und obwohl die Schwester erklärte, dass er den Blick noch nicht bewusst irgendwohin richten könne, schien er Frank direkt anzuschauen.

    Noch nichts Schlimmes war ihm widerfahren. Für Franks Sohn war das Leben in diesem Moment perfekt – doch es würde nicht so bleiben.
    Aus irgendeinem Grund rief der Anblick dieses nackten hilflosen kleinen Körpers bei Frank die Erinnerung an die Bilder aus den vergangenen zwei Jahren wach, an Dörfer, durch die seine Kompanie auf dem Weg in den Dschungel gezogen war. Die Erinnerung an andere Kinder, die er vergessen wollte. An Hände, die sich ihm ebenfalls entgegenstreckten, wenn auch aus ganz anderen Gründen.
    Plötzlich nahm er ein Dröhnen und einen hohen kreischenden Laut wahr. Nur die Poliermaschine auf dem Flur, aber Frank legte sofort eine Hand über das eine Muschelohr von Francis Junior.
    Zu laut, sagte er, und erst danach merkte er, dass er geschrien hatte, als müsse er Mündungsfeuer übertönen anstatt einer Bodenpflegemaschine.
    Sie wollen bestimmt Ihre Frau sehen, sagte die Schwester. Seine Frau. Die hatte er beinahe vergessen.
    Man führte ihn in den Kreißsaal. Die Schwester nahm ihm den Kleinen ab, und nun hatte Frank die Hände frei. Er wusste, dass jetzt etwas von ihm erwartet wurde – sollte er Mandy umarmen? Ihre Wange streicheln? Ihr ein Tuch auf die Stirn legen? Er stand stocksteif da, konnte sich nicht rühren.
    Hast du gut gemacht, sagte er. Ist ein echtes Baby

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