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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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Beinen Ausschlag hatte, fragte sie mich, ob auch mein Penis betroffen sei. Und im letzten Sommer, als ich einen Superheldensprung über einen Betonpoller abziehen wollte, das Ding aber verfehlte und daraufhin stöhnend am Boden lag und mir die Hoden hielt, hatte sie sich neben mich gekniet und gesagt, ich solle ihr meinen Penis zeigen.
    Ich muss wissen, ob wir in die Notaufnahme fahren müssen, hatte sie gesagt. Ich möchte unter keinen Umständen, dass du irgendeine Verletzung am Penis oder an den Hoden hast, die nicht behandelt wird.
    Aber das war eben meine Mutter. Als Eleanor diesen Teil meines Körpers erwähnte – über den ich nicht einmal selbst sprechen konnte –, klang das fremd und viel geheimnisvoller.
Und ich hatte das Gefühl, dass wir von jetzt an über alles reden konnten. Wir hatten die Grenze zum Verbotenen überschritten.
    Ihr Zimmer ist direkt neben meinem, sagte ich. Ich höre sie nachts. Wie sie’s machen. Sie und … Fred.
    Ich dachte mir, dass ich ihn so nennen sollte. Um ihn nicht zu verraten.
    Er ist also sexsüchtig, sagte Eleanor. Oder ein Gigolo. Wahrscheinlich beides.
    Aber ich wusste, dass das nicht stimmte. Ich mochte Frank. Das war ja mein Hauptproblem. Ich mochte Frank so gerne, dass ich auch mit ihm weggehen wollte. So gerne, dass ich mir vorgestellt hatte, wie schön es wäre, wenn er ein Teil der Familie wäre. In diesen wenigen glücklichen Tagen, in denen er bei uns lebte, hatte ich nicht begriffen, dass er einfach meinen Platz einnehmen würde.
    Du hast doch keinen Ödipus-Komplex oder so was?, fragte Eleanor. Da will man seine Mutter heiraten. Das passiert manchmal bei Jungen, obwohl man das in deinem Alter eigentlich schon überwunden haben müsste.
    Ich mag ganz normale Mädchen, antwortete ich. In meinem Alter oder vielleicht ein bisschen älter, aber nicht viel.
    Falls sie jetzt dachte, dass sie damit gemeint war, fand ich das in Ordnung.
    Ich mag meine Mutter eben als Mutter, sagte ich.
    Dann könntest du eine Intervention in Erwägung ziehen, sagte Eleanor. Das hat meine Mutter bei mir gemacht, obwohl ich finde, das lief falsch herum. Sie und dieser kaputte Typ, der ihr Freund ist, hätten die Intervention nötig gehabt.
Aus psychologischer Sicht ist das jedenfalls eine sehr effektive Methode.
    Wenn dieser Typ deine Mutter mit einer Art Zauber belegt hat, musst du sie umprogrammieren, fuhr sie fort. Das haben sie mit Leuten gemacht, die sich Sekten angeschlossen haben, als das noch in Mode war. Zum Beispiel diese Patty Hearst, ein Mädchen aus einer ganz reichen Familie, so wie in Dallas. Die wurde gekidnappt, und die Entführer, die politische Radikale und außerdem echt attraktiv waren, haben sie dazu gebracht, mit ihnen Banken auszurauben.
    Damals waren wir beide noch nicht auf der Welt. Meine Mutter hat mir davon erzählt. Der Entführer hatte etwas, das man Charisma nennt, und Patty fuhr so darauf ab, dass sie Armeekleidung anzog und mit einem Maschinengewehr rumrannte. Als sie schließlich wieder zuhause war, musste man sie zu allen möglichen Psychiatern schicken, um sie wieder hinzukriegen. Es kann sehr verwirrend sein, wenn du erst rausfinden musst, wer die Guten und wer die Bösen sind. Aber vielleicht ist auch niemand wirklich gut, und vielleicht hat Patty deshalb alles durcheinandergebracht. Sie hatte schon einen ganzen Haufen Probleme, und das hat ihr den Rest gegeben.
    Das hört sich nach meiner Mutter an, sagte ich.
    Der Typ hat mit Sex eine Art Gehirnwäsche bei ihr gemacht, erwiderte Eleanor.
    Wenn das stimmt, wie kann man sie dann wieder hinkriegen?, fragte ich. (Normal würde sie ohnehin nicht werden. So wie vorher würde schon reichen.)

    Sex ist zu machtvoll, sagte Eleanor. Es gibt nichts, womit du dagegen ankommen kannst.
    Die Lage war also wohl aussichtslos. Meine Mutter war verloren. Ich schaute auf den Bücherstapel vor meinen Füßen. Eines war aufgeklappt, und ich blickte auf ein Foto von Prince Edward Island mit Wiesen und dem Ozean im Hintergrund.
    Das Mädchen aus Anne auf Green Gables lebe dort, hatte Eleanor mir erzählt, aber das nützte mir auch nichts. Wenn Frank meine Mutter erst mal dorthin gebracht hatte, würde sie nie mehr zurückkommen.
    Falls die Scheidung deiner Eltern dir nicht schon heftig zugesetzt hat, sagte Eleanor, dann kriegst du spätestens jetzt durch dieses Chaos mit dem Freund eine ausgeprägte Neurose. Ich kann nur für dich hoffen, dass du irgendwann genug Geld verdienst, um die ganzen Therapien bezahlen zu

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