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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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können, die du brauchen wirst.
    Während sie sprach, kaute sie an ihrem Zopf, und mir kam der Gedanke, dass ihre Haare vielleicht ihr Essensersatz waren. Sie war aufgestanden, und jetzt sah ich, dass sie noch dünner war, als ich gedacht hatte. Als sie ihre Brille abnahm, kamen dunkle Ringe unter ihren Augen zum Vorschein. Irgendwie sah sie ziemlich alt aus, aber zugleich wie ein kleines Mädchen.
    Ich seh nur eine Hoffnung für dich, sagte sie. Ich meine damit nicht, dass du den Typen umbringen sollst oder so. Aber du musst dir irgendwas einfallen lassen, um ihn aus deiner Welt zu schaffen.
    Ich weiß nicht, ob das geht, sagte ich.

    Sieh’s doch mal so, Hank, sagte sie. (Hank? Wie kam sie denn darauf?) Entweder du servierst ihn ab. Oder er serviert dich ab. Das sind deine Optionen.

    Zuhause waren Frank und meine Mutter damit beschäftigt, die Fensterrahmen zu streichen. Nicht gerade naheliegend für zwei Leute, die vorhatten, das Land für immer zu verlassen, aber vielleicht wollte meine Mutter das Haus loswerden, um mit dem Geld eine Farm auf Prince Edward Island zu kaufen. Weil ihr Erspartes auf der Bank womöglich nicht ausreichte. Dann musste unser Haus natürlich gut aussehen.
    Hey, Kumpel. Du kommst grade zur rechten Zeit, sagte Frank. Hilfst du mir beim Farbeabkratzen?
    Meine Mutter stand neben ihm. Sie trug eine Latzhose, die sie früher zur Gartenarbeit getragen hatte – als es noch so was wie einen Garten bei uns gab. Ihre Haare waren im Nacken zusammengebunden. Die beiden hatten die äußeren Fenster ausgehängt und Farbschaber und Schleifpapier bereitgelegt.
    Was meinst du, sagte sie. Dieser Lack steht hier schon seit ein paar Jahren rum. Frank sagt, wenn wir alle drei mitmachen, können wir das im Handumdrehen schaffen.
    Ich hatte Lust, ihnen beim Anstreichen zu helfen. Es sah aus, als würde das Spaß machen. Die beiden hatten das Radio mit rausgenommen, und es lief ein Sonderprogramm zum Labor Day, eine Art Hitparade. Im Moment brachten sie diesen Song von Olivia Newton-John über eine Sommerliebe
aus Grease. Meine Mutter hielt den Pinsel wie ein Mikrofon und spielte Olivia Newton-John.
    Ich hab zu tun, sagte ich.
    Sie sah verletzt aus.
    Ich dachte, das würde uns allen drei Spaß machen, sagte sie. Und du kannst uns dabei erzählen, was du in der Bücherei rausgefunden hast.
    Ich hatte herausgefunden, dass meine Mutter einer Gehirnwäsche unterzogen worden war. Dass ihr Gehirn unter dem Einfluss von Sex einem Spiegelei ähnelte. Dass es mir gelingen musste, Frank loszuwerden, weil sie sonst verloren war. All das sagte ich natürlich nicht, aber ich dachte es.
    Frank legte mir die Hand auf die Schulter. Ich erinnerte mich daran, wie er das an dem Tag gemacht hatte, als wir ihn kennenlernten – als er mir sagte, er bräuchte meine Hilfe. Und ich hatte geglaubt, ich könne ihm vertrauen, als ich ihm in die Augen gesehen hatte.
    Ich denke, du solltest deiner Mutter zur Hand gehen, mein Junge, sagte er.
    Er klang nicht wütend, aber entschiedener als jemals zuvor. Jetzt passierte es also, diese Sache, vor der Eleanor mich gewarnt hatte. Er übernahm das Steuer. Ich war auf die Rückbank verbannt. Und bald würde ich überhaupt nicht mehr im Wagen sein.
    Du bist nicht mein Boss, sagte ich. Und auch nicht mein Vater.
    Er zog die Hand weg, als habe er heißes Metall angefasst. Oder Trockeneis.
    Ist schon gut, Frank, sagte meine Mutter. Wir können
das auch zu zweit machen. Es ist Henrys letztes Wochenende vor Schulbeginn. Wahrscheinlich will er seine Sachen vorbereiten.
    Ich ging ins Haus, holte etwas zu essen aus der Küche, schaltete den Fernseher ein und stellte ihn laut. Tennis, die U.S. Open, aber es war mir egal, wer gewinnen würde. Auf dem nächsten Sender Baseball. Dann irgendeine Werbesendung für Frauen, die festere Oberschenkel kriegen wollten. Es war mir einerlei, dass meine Mutter und Frank draußen den Fernseher hörten – ich hörte sie schließlich auch im Zimmer nebenan –, und als ich mein Sandwich aufgegessen hatte, ließ ich meinen Teller und das leere Milchglas auf dem Tisch stehen, anstatt die Sachen in die Küche zu tragen, wie ich es normalerweise gemacht hätte.
    Ich schaute nach Joe, der immer noch schlapp und schnaufend auf dem Käfigboden lag. Also holte ich mir eine Sprühflasche, spülte sie aus und spritzte Joe dann ein bisschen nass, damit ihm nicht mehr so heiß war. Danach spritzte ich mich selbst an.
    Ich legte mich wieder auf die Couch, schaute mir weiter die

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