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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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ist das Einzige, was mir hier wichtig ist.
    Meine Mutter war klug genug, jetzt nicht zu sagen, dass sie mir einen anderen Hamster kaufen würde. Oder einen Hund, obwohl ich seit jeher einen haben wollte.
    Du hast mich nicht mal gefragt, ob es mir was ausmacht, wenn ich Dad nicht mehr sehen kann, sagte ich. Manche Kinder haben Brüder und Schwestern. Ich hab nur Joe.
    Ich wusste genau, was ich ihr mit dieser Äußerung antat. Äußerlich veränderte sich nichts an ihrem Gesicht, aber sie sah aus, als habe ihr jemand eine giftige Chemikalie in die Adern gespritzt. Als sei ihre Haut gefroren.
    Das könnte alles kaputtmachen, sagte sie. Ihre Stimme war jetzt so leise, dass ich sie kaum verstand. Du bittest mich, das Leben des Mannes, den ich liebe, für einen Hamster aufs Spiel zu setzen.

    Ich fand es unerträglich, wie sich das aus ihrem Mund anhörte. Als sei mein ganzes Leben nicht ernst zu nehmen.
    Nur was du willst, zählt für dich, sagte ich. Du und er. Du willst doch nur mit ihm ins Bett und ficken.
    Ich hatte dieses Wort noch nie zuvor in den Mund genommen. Ich hatte es in unserem Haus auch noch nie gehört. Bis es aus meinem Mund kam, hätte ich nie geglaubt, dass ein einziges Wort so machtvoll sein konnte.
    Ich erinnerte mich daran, wie sie die Milch auf den Boden gegossen hatte. Und es gab noch diese andere Erinnerung – verblasst wie ein sehr altes Polaroid-Foto –, bei der meine Mutter mit einer Art Waschlappen auf den Augen in der Abstellkammer gesessen und Laute wie ein sterbendes Tier von sich gegeben hatte. Erst viel später wurde mir klar, dass das wohl nach dem Tod des Babys gewesen war. Des letzten verlorenen Kindes. Bis zu diesem Augenblick jetzt hatte ich nicht mehr an diese Szene gedacht, aber nun sah ich sie plötzlich vor mir: Meine Mutter hockte am Boden, zwischen Stiefeln, einem Regenschirm und dem Schlauch des Staubsaugers. Über ihr hingen unsere Wintermäntel. Solche Laute, wie sie von sich gab, hatte ich noch nie im Leben gehört, und ich stürzte mich auf sie, als könne ich sie zum Verstummen bringen. Ich legte ihr die Hand auf den Mund und rieb ihr Gesicht, aber diese Laute hörten nicht auf.
    Diesmal gab sie keinen Laut von sich – was noch schlimmer war. Einmal hatte ich einen Aufsatz über Hiroshima schreiben müssen und stellte mir nun vor, dass es so gewesen war, als die Bombe explodierte. Die Leute blieben stehen
wie angewurzelt, die Haut löste sich von ihrem Gesicht, und sie starrten ins Leere.
    Auch meine Mutter stand stocksteif da, mit dem Toaster im Arm. Sie war barfuß, hielt die Stahlwolle in der Hand und rührte sich nicht mehr.
    Frank legte das Messer weg, erhob sich und legte ihr den Arm um die Schultern.
    Es ist schon gut, Adele, sagte er. Wir kriegen das alles hin. Wir nehmen den Hamster mit. Aber ich möchte dich bitten, dich bei deiner Mutter zu entschuldigen, Henry.

    Ich ging in mein Zimmer und räumte meine Kleider aus den Schubladen. Sporttrikots von Mannschaften, die mich nicht interessierten. Eine Basecap von einem Spiel der Red Sox, zu dem mein Vater Richard und mich mitgenommen hatte und bei dem ich im siebten Inning mein Rätselbuch rausgeholt hatte. Briefe von Arak, meinem afrikanischen Brieffreund, zu dem wir seit ein paar Jahren den Kontakt verloren hatten. Einen Pyrit, von dem ich als Kind geglaubt hatte, er sei Gold. Ich hatte mir damals vorgestellt, dass ich ihn eines Tages verkaufen und meiner Mutter davon eine tolle Reise spendieren würde. Nach New York City oder Las Vegas, wo es so viel Tanz gab. Nicht zum Prince Edward Island.
    Ich ging ins Zimmer meiner Mutter, wo der Kassettenrecorder stand, zog den Stecker raus, nahm das Ding mit in mein Zimmer und legte eine meiner Kassetten ein. Guns N’Roses, auf voller Lautstärke. Der Kassettenrecorder war nicht sonderlich gut, und wenn man ihn voll aufdrehte,
klangen die Bässe ziemlich kratzig, aber das war vermutlich Absicht.
    Ich blieb den ganzen Nachmittag in meinem Zimmer. Stopfte alles, was ich besaß, in Müllsäcke. Bei einigen Sachen zögerte ich und überlegte, ob ich sie aufheben sollte, aber ich wollte alle Brücken hinter mir abbrechen. Wenn man einmal anfing, Sachen aufzuheben, war es nicht dasselbe.
    Irgendwann am späten Nachmittag, als ich alles verpackt, die Säcke die Treppe runtergeschleppt und zu den Mülltonnen gestellt hatte, holte ich Eleanors Nummer raus. Betont langsam ging ich durchs Wohnzimmer zum Telefon, an Frank und meiner Mutter vorbei. Die beiden räumten Bücher aus

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