Der Duft von Hibiskus
wir viele Hausangestellte haben, fällt dieser Makel kaum ins Gewicht. Bisschen vorlaut ist sie vielleicht, aber nicht so sehr wie Fräulein Röslin. Alles in allem kann sie, wenn ich das als Bruder so sagen darf, einem Mann schon den Kopf verdrehen.«
»Ist sie hübsch?«, fragte Oskar interessiert.
»Wenn man rotbraune Locken, grüne Augen und üppig schwellende Formen mag, durchaus«, sagte Pagel.
Oskar pfiff durch die Zähne.
Pagel lachte. »Ja, meinen Kommilitonen von der Universität hat sie auch gefallen. Einem von ihnen ganz besonders. Aber da Antonia erst sechzehn Lenze zählte, hieß es warten.«
»Sechzehn ist doch alt genug. Hat er um ihre Hand angehalten?«
»Hat er. Wurde aber von meinem alten Herrn abgewiesen. Wenn er noch zwei Jahre warten könne, dürfe er es noch einmal probieren, hat mein alter Herr ihm gesagt. Sie ist halt sein Augapfel, die Kleine.«
»Aber ihr Verehrer konnte nicht warten«, mutmaßte Oskar.
»Erfasst. Statt sie aus der Ferne anzubeten, was zwar unbefriedigend, aber sicher ist, hat er sich von ihrer Koketterie allzu sehr reizen lassen. Tja, und so ist es gekommen, wie es kommen musste.« Er seufzte. »Allerdings wäre es mir lieber gewesen, wenn nicht gerade ich die beiden in flagranti erwischt hätte.«
»Sie haben Ihre eigene Schwester dabei gesehen, wie sie …«
»Rühren Sie nicht daran, Crusius! Der Anblick hat mich wochenlang verfolgt.« Nach einer kurzen Pause sagte er: »Oder zumindest ein paar Tage lang. Wie dem auch sei: Der Übeltäter musste natürlich bestraft werden. Was sollte ich tun? Ihn dem Zorn meines Vaters ausliefern und damit meine Schwester der Schande preisgeben?«
»Verdient hätten es die beiden«, sagte Oskar mitleidlos.
»Stimmt. Aber bedenken Sie, dass eine solche Schmach sich auf die ganze Familie auswirkt. Am Ende hätte ich selbst – mein Ruf, meine berufliche Zukunft, meine gesellschaftliche Stellung – darunter zu leiden gehabt!«
»Das habe ich nicht bedacht. Armer Freund.«
»Ja, es war eine verflucht schwierige Entscheidung. Wenn ich geschwiegen hätte, was wäre dann passiert? Sie hätten es wieder getan, verlassen Sie sich darauf. Also habe ich meinen Kommilitonen vor die Wahl gestellt: Entweder er hält sich von Antonia fern, bis sie achtzehn ist, und dann heiratet er sie. Oder ich gehe schnurstracks zu meinem Vater, packe aus und besiegele damit das Schicksal des elenden Verführers.«
Langsam meinte Oskar: »Hätte Ihr Vater ihn denn tatsächlich …«
»Ja«, unterbrach Pagel ihn mit schneidendem Stolz. »Mein Vater ist ein Ehrenmann. Er hätte ihn unverzüglich zum Duell gefordert.«
Emma schlug sich die Hand vor den Mund.
»Aber natürlich war dem Lüstling sein Leben lieb, und er ist auf meine Bedingungen eingegangen. Da ich jedoch kurz vor der Abreise nach Australien stand, hatte ich ein Problem: Wie sollte ich von diesem Erdteil aus kontrollieren, ob er sich auf jenem anderen Erdteil an mein Verbot, Antonia zu sehen, halten würde? Es blieb mir also nur eins, wollte ich meine Abreise nicht verschieben.«
»Er musste mitkommen«, folgerte Oskar.
»Exakt.«
»Aber dann …« Oskars Stimme war heiser vor Aufregung, »dann ist der Verführer ja …«
»Hermann Krüger«, beendete Pagel seinen Satz grimmig.
26
O skar erschien nicht zum Frühstück, und nicht nur Emma war froh darüber. Auch Pagel und Krüger schienen nicht erpicht darauf, einer weiteren Auseinandersetzung zwischen Oskar und Carl beizuwohnen, obwohl ein Zusammentreffen natürlich unausweichlich war. Aber jede Verzögerung schien den beiden Forschern willkommen. Beklommen tranken sie ihren Tee, warfen Carl und Emma verstohlene Blicke zu und machten sich, sobald es die Höflichkeit gestattete, davon, um im Regenwald Blüten zu sammeln.
Carl hingegen wollte den Vormittag über Blätter pressen und Herbarbögen anlegen.
Sobald sie alleine am Tisch saßen, fragte Emma ernst: »Wie geht es denn nun weiter, Carl?«
»Gute Frage. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.« Er runzelte die Stirn. »Nachdem du gestern aus dem Zimmer geflüchtet bist, hat Crusius mir vorgeworfen, dass ich auf ihn herabsehen würde. Ich hätte mich nur getraut, ihn zu schlagen, weil er aus kleinen Verhältnissen stamme. So ein Schwachsinn!«
»Er möchte die Verantwortung für den Streit eben gerne auf dich schieben. Oskar hat erstaunlich wenig Schuldbewusstsein.«
Die Erinnerung an das, was er über sie gesagt hatte, weckte erneut Scham und Wut in Emma. »Ach, am liebsten
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