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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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sich, wie sie Oskar jemals hatte nett finden können.
    »Ich will alle Ansichten«, sagte er, »zeichne sie von vorne, von hinten und von der Seite. Das dürfte dir keine Probleme bereiten, die Viecher halten ja schön still.« Wieder lachte er, als habe er einen guten Witz gemacht.
    Sie wandte sich wortlos um, stellte die Flasche auf ihren Tisch und legte Bleistift und Papier zurecht – als unmissverständliches Zeichen, dass sie anfangen wollte.
    »Ich werde dann später wiederkommen«, sagte Oskar, »und deine Fortschritte begutachten.«
    Eine Antwort hierauf sparte sie sich, lediglich zu einem Nicken konnte sie sich durchringen. Ihr fiel zwar selbst auf, dass sie im Umgang mit Oskar inzwischen jegliche Höflichkeit vermissen ließ, aber das schlechte Gewissen zwickte sie nur kurz.
    Oskar war herzlos, er verachtete sie, er begehrte sie auf die gleiche demütigende Weise, auf die Ludwig sie begehrt hatte, und er machte sich einen Spaß daraus, sie zu beschämen, vorzugsweise im Beisein aller anderen Forscher. Nein, diesem Mann schuldete sie überhaupt nichts.
    Das tote Baby schob sich sofort wieder vor ihr inneres Auge, als sie sich widerstrebend den kleinen Kreaturen in der Glasflasche zuwandte. Aber es half ja nichts – was Godeffroy verlangte, das bekam Godeffroy.
    Seufzend machte Emma sich an die Arbeit.
    Wider Erwarten beruhigte die vertraute Tätigkeit nicht nur ihren Kopf, sondern auch ihr Herz. Ohne dass sie sich darum bemühen musste, drehten sich bald all ihre Gedanken nur noch um den nächsten Strich, die perfekte Linie, die Haltung der kleinen Beinchen und die genaue Farbbezeichnung, die Emma auf die Rückseite des Blattes schreiben wollte. Die Sorgen fielen von ihr ab, und als sie mit der Seitenansicht des ersten Flughundes fertig war, nahm sie sich die Rückenansicht vor, ohne die kleinste Pause einzulegen. Mit jedem Strich wurde ihr klarer, wie sehr sie das Leben liebte – und nicht nur ihr eigenes. Dass Emma sich von Tierfleisch ernährte, war von Gott so eingerichtet, davon war sie überzeugt. Aber Tiere für die Forschung töten? Nein, das würde sie niemals fertigbringen. Wenn sie die Arbeit für Oskar endlich niedergelegt haben würde, wäre endgültig Schluss damit, kleine Leichen zu zeichnen.
    Kann ein Mensch, der so empfindet, Leben mutwillig vernichten?, durchzuckte es sie. Das eigene Kind?
    Natürlich nicht, wisperte sanft der Lufthauch, der durch ihr Fenster wehte.
    Die Marmbeja?
    Ob es nun die Baumgeister waren oder ihre Einbildung, Emma fühlte sich getröstet.
    Noch bevor sie mit der Rückenansicht des Flughundes fertig war, kam ihr ein neuer Gedanke. Sie stützte ihr Kinn in die Hand und sah zum Fenster hinaus.
    Wenn die Baumgeister ihr wirklich helfen wollten, dann würde sie jemanden brauchen, der sich mit dieser Art der Hilfe auskannte.
    Vielleicht wurde es ja Zeit, dass sie Purlimil und Birwain ihr Vertrauen schenkte.
    Sie würde ihnen offen von ihrem Problem erzählen müssen.
    Emma kam nicht gleich dazu, ihren Entschluss in die Tat umzusetzen, denn Oskar hatte das Jagdfieber gepackt. Er brachte ihr so viele – zugegebenermaßen interessante – getötete Tiere, dass sie die Arbeit beim besten Willen nicht nachmittags niederlegen konnte. Eine ganze Woche lang zeichnete sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weitere Flughunde, Tauben, Papageien, schillernde Käfer, Eidechsen, einen jungen Koala und namenlose Beuteltiere aller Art.
    Als sie Carl endlich vorschlug, wieder einmal den Clan zu besuchen, ließ er seine Arbeit augenblicklich ruhen. Offensichtlich zog es auch ihn zu den Eingeborenen, und er hatte nur darauf gewartet, dass Emma Zeit dafür finden würde.
    Yileen kam Emma und Carl lächelnd entgegen, als er sie auf das Lager zukommen sah.
    »Wir schon gewartet«, sagte er zu ihnen. »Wo ihr gewesen?«
    »Wir haben gearbeitet«, erklärte Carl ihm freundlich. »Ein Teil unserer Forschungen findet im Regenwald statt, der andere Teil aber leider in Studierzimmern.«
    Diese Erklärung schien Yileen zufriedenzustellen. »Und heute Regenwald dran?«, fragte er nur.
    Carl nickte.
    »Gut«, sagte Yileen, löste etwas von der Schnur an seiner nackten Hüfte – Emma wagte es nicht, allzu genau in die verfängliche Richtung zu schauen – und drückte es Carl in die Hand. Nun sah Emma, dass es eine Schlagkeule war.
    »Dann heute du mit auf Jagd«, sagte Yileen.
    Carl wog zögerlich die Keule in der Hand.
    »Ich bin nicht sicher, dass ich euch bei der Jagd viel nützen werde. So

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