Der Duft von Hibiskus
versucht, sich seinem Griff zu entziehen, doch er hält sie eisern fest. »Du tust mir weh.«
»Ich tue dir noch viel mehr weh, wenn es dir nur zu einer Fehlgeburt verhilft«, knurrt er.
»Ich hasse dich«, sagt sie leise.
Mit einem Ruck befreit sie sich von ihm. Plötzlich weiß sie, was sie tun wird: sich ihren Eltern offenbaren, Ludwig zum Teufel schicken, das Kind zur Welt bringen und lieben. Weil es nicht nur sein Kind ist, sondern auch ihres. Wo ihr Platz in der Gesellschaft sein wird, ob sie überhaupt noch einen Platz haben wird – das bleibt ungewiss. Aber sie wird es überleben. Sie wird alles überleben. Unwillkürlich lächelt sie, so gut tut das Gefühl der Stärke, das sich in ihr ausbreitet.
Sie wirft ihm einen letzten Blick zu, entschlossen, diesen Mann niemals wiederzusehen. Sie wird sich jetzt umdrehen, aus dem Zimmer gehen und …
»Mutter«, haucht sie erschrocken.
In der offenen Tür steht Frau Röslin. Ihr Gesicht ist weiß wie die Wand, die Hände hat sie ineinander verkrampft. Mit ihren riesengroßen Augen, die auf Emma und Ludwig starren, sieht sie sehr jung und verletzlich aus.
»Du und sie?«
Noch nie hat Emma ihre Mutter so sprechen gehört – ein außer Kontrolle geratenes Krächzen.
»Du hast meiner Tochter ein Kind gemacht, Ludwig? Du? Meiner Tochter?«
Warum duzt sie ihn?, fährt es Emma trotz ihres Schreckens durch den Kopf. Sie schaut ihre Mutter an, registriert den verwundeten Blick. Langsam, ganz langsam dreht sie sich zu Ludwig um. Er blickt flehend, doch nicht zu ihr, sondern zu ihrer Mutter.
»Später«, sagt er im hilflosen Bemühen, eine Eskalation zu verhindern, »später erkläre ich es dir, ja? Vertrau mir.«
Emma steht zwischen Ludwig und ihrer Mutter, und keiner von beiden beachtet sie. Sie fühlt sich, als sei sie unsichtbar. Schlagartig begreift sie alles.
Eine seltsame Ruhe breitet sich in ihr aus. Sie wendet sich Ludwig zu.
»Du hast mit uns beiden geschlafen.«
Gehört die Stimme, die ohne zu zögern die schreckliche Wahrheit ausspricht, tatsächlich zu ihr?
Offensichtlich, denn ihr Mund öffnet sich bereits wieder, und die Stimme fährt fort: »Du hast jeder von uns vorgegaukelt, dass du uns liebst, nicht wahr? Mutter und Tochter. Wie pikant. Jetzt fliegt alles auf, weil eine von uns die Frechheit besitzt, dein Kind in sich zu tragen.«
Der Schrei in ihrem Rücken scheint nicht von einem Menschen zu kommen. Emma fährt zu ihrer Mutter herum, sieht deren verzerrten Gesichtsausdruck und weiß in derselben Sekunde, dass die Mutter Ludwig geliebt hat, mit jeder Faser ihres Herzens. Der Schrei schwillt an, die Mutter greift sich in die kunstvoll aufgesteckten Haare und reißt daran, ihre Spangen lösen sich, Strähnen stehen wild vom Kopf ab. Noch nie hat Emma sie so gesehen. Der Anblick erschreckt sie: ihre anmutige, stets um gutes Benehmen bemühte Mutter – ohne jede Haltung.
Ludwig macht einen Satz nach vorne, doch nicht auf die Mutter zu, sondern an ihr vorbei durch die Tür. Er entzieht sich der Situation durch Flucht, erkennt Emma, und zu ihrem Hass gesellt sich Verachtung.
»Ludwig! Bleib hier!«, kreischt die Mutter und will ihn am Arm greifen, doch er ist schon an ihr vorbei und pfeilschnell die Treppe hinunter. Die Mutter stolpert ihm hinterher wie ein tödlich getroffenes Tier, hat für nichts Augen als für ihren fliehenden Geliebten. Sie wankt zur Treppe, ohne ihr Kleid zu raffen, ihr Fuß verheddert sich in dem langen, seidigen Rock, sie greift fahrig nach dem Geländer, bekommt es jedoch nicht zu fassen.
Jetzt ist es Emma, die schreit, als sie die Mutter kopfüber die lange Treppe hinunterstürzen sieht.
Alarmiert durch das Gepolter, dreht Ludwig sich gehetzt um, sieht Frau Röslin fallen und reglos am Fuße der Treppe liegen bleiben. Er zögert, dann wendet er sich ab und rennt davon.
Er prallt gegen Herrn Röslin, der in der Haustür steht, noch in Hut und Mantel und mit offenem Mund.
Eine Schrecksekunde später drängt Ludwig sich an ihm vorbei und ist verschwunden.
Erschüttert schaut Emma auf die Mutter hinab. Wie im Traum beginnen ihre Beine sich zu bewegen, tragen sie die Stufen hinunter, knicken neben der Mutter ein. Alles Blut ist aus den vertrauten Zügen gewichen. Nein, denkt Emma nur immer wieder, nein, nein, nein, nein, nein …
Herr Röslin beugt sich über Frau und Tochter, sein Hut fällt zu Boden, und er stammelt fassungslose Worte, deren Sinn nicht bis zu Emma vordringt. Nichts dringt zu ihr vor, nur das Bild
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