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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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keine Ochsen dabei, und Sie waren auch dagegen, dieses Mal welche mitzunehmen. Aber die Ochsen leisten uns wirklich gute Dienste als Lastenträger, das müssen Sie doch zugeben.«
    Pagel gab nichts zu. Er murrte.
    Leichthin sagte Scheerer: »Aller Anfang ist schwer. Doch ich bin sicher, Sie schaffen es, sich gegen ein paar Ochsen durchzusetzen. Oder nicht?«
    Emma verkniff sich ein Grinsen. Wollte Pagel sein Gesicht nicht verlieren, blieb ihm nun kaum etwas anderes übrig, als sich Scheerers Wunsch zu beugen.
    Pagel knurrte etwas, das mit viel gutem Willen als Zustimmung gedeutet werden konnte, und Scheerer fuhr gelassen fort: »Dann wären die morgendlichen Aufgaben also geklärt. Am Tage wandern wir weiter oder sammeln Forschungsobjekte, und am frühen Abend erledigen wir gemeinsam, was eben anfällt: Kleider waschen und ausbessern, Sättel und Gewehre fetten, Tiere fürs Abendessen schießen. Von Letzterem nehme ich Fräulein Röslin natürlich aus. Und jetzt«, er lächelte und hob zwei gerupfte Vögel in die Höhe, »lassen Sie uns endlich das Essen zubereiten! Ich kann Ihnen aus Erfahrung sagen: Kakadus schmecken ganz hervorragend.«
    Der Leiter behielt auch diesmal Recht, und als die Forschergruppe sich nach dem Mahl zerstreute, schien jeder einzelne satt und zufrieden.
    Emma beschloss, im Schein des Lagerfeuers den kleinen Beutler zu zeichnen, den Oskar getötet hatte. Zwar reichte das Licht nicht aus, um die Feinheiten erkennen zu können, doch sie wollte zumindest schon einmal mit der Arbeit anfangen. Fertigstellen würde sie die Zeichnung am nächsten Tag.
    Oskar saß vor seinem Zelt und rauchte eine Zigarre. Als sie ihn um den Beutler bat, griff er sofort in seine Tasche und reichte in ihr.
    »Braves Mädel, auch nach Sonnenuntergang noch fleißig. Du wirst einmal eine gute Ehefrau.«
    Er lächelte und schien ihren erfreuten Dank für das Kompliment zu erwarten, doch sie brachte es nicht fertig, ihm etwas vorzuspielen.
    Sie hatte sich schon vor Langem damit abgefunden, dass sie keine Ehefrau werden würde, und sie hatte stets vermieden, darüber nachzudenken, ob das immer noch galt, jetzt, da alles anders war. Und Ludwig verloren.
    »Danke«, sagte sie knapp und ging mit dem Tier in der Hand zurück zu ihrem Platz am Feuer.
    Papier, Bleistift, ihr Messer zum Spitzen und zwei Bücher als Unterlage hatte sie schon bereitgelegt. Dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben zum Zeichnen auf dem Boden sitzen würde – nun, das ließ sich nicht ändern.
    Sie machte es sich so bequem wie möglich, legte das Papier auf das eine Buch, den Beutler auf das andere und griff nach ihrem Bleistift. Ihre Hand schwebte über dem Papier, doch irgendetwas hielt sie davon ab, den ersten Strich zu wagen. Sie betrachtete das mausartige Wesen, das auf dem Buch lag, als würde es schlafen. Den Gedanken, dass es in Alkohol eingelegt die Zeiten überdauern würde, fand sie gruselig. Blitzartig wusste sie, weshalb sie es nicht zeichnen wollte.
    Der Tod gehört in meine Träume, dachte sie. Aber meine Tage und meine Arbeit gehören dem Leben. Deshalb bin ich ans andere Ende der Welt gereist – weil ich den ständigen Schatten des Todes nicht mehr ertragen habe.
    Sie ließ die Hand sinken und starrte ins Feuer. Die Frage, hundert Mal unterdrückt, ließ sich nicht mehr abwimmeln.
    Wer ist in den schwarzen Tagen gestorben?
    Sie schloss die Augen, niedergedrückt von dem Wissen, das sich in ihr Bewusstsein gedrängt hatte. Jemand war gestorben, und sie hatte mit seinem Tod zu tun. Doch wer war es, und warum hatte man um diesen Tod ein solches Geheimnis gemacht?
    War es Ludwig?
    Sie wusste es nicht.
    Sie wusste es einfach nicht, Herrgott! Die Tür zu ihrer Erinnerung hatte sich einen winzigen Spalt geöffnet, aber nur, um gleich wieder zuzufallen. Vielleicht, weil die Antwort sie zerreißen würde?
    Emma strich mit dem Zeigefinger über den gekrümmten Rücken des Beutlers. Dann atmete sie tief durch, verschloss ihre Gefühle fest in ihrem Inneren und fing an zu zeichnen.
    Große, runde Augen. Zartrosa Krallen. Eine spitze Schnauze, papierdünne Öhrchen und erstaunlich kräftige Hinterbeine. Emmas Blick wanderte zwischen dem Tier und ihrem Blatt hin und her. Der Bleistift zog feine Linien, bildete Konturen, hauchte dem Gesicht des Beutlers Leben ein, und während Emma das Tier zu neuem Leben erweckte, verschwanden ihre schrecklichen Ahnungen, ihre Bedrückung und die Angst. Sie konzentrierte sich vollständig darauf, dem Wesen des Tieres

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