Der Duft von Hibiskus
… wenn sie uns so sieht, so … so eindeutig …«
Er kam um das Klavier herum auf sie zu und griff nach ihren Händen.
»Eindeutig ist das hier«, sagte er und legte ihre rechte Hand auf seine Hose. Sie fühlte etwas Hartes.
In seinem zärtlichsten Tonfall sagte er: »Mein kleiner Freund sehnt sich so nach dir, Emma! Wie kannst du nur so grausam sein?«
Kleiner Freund?, dachte sie in hilflosem Spott. Sie erinnerte sich nur allzu gut an den Schmerz, den er ihr zugefügt hatte. Einen unpassenderen Namen konnte er ihm wohl nicht geben.
Sie entzog Ludwig ihre Hände.
»Nein«, sagte sie bestimmter, als sie sich fühlte. »Mein Herz gehört dir, aber mein Körper nicht. Nicht, so lange Auguste …« … am Leben ist, hatte sie sagen wollen. Erschrocken biss sie sich auf die Lippen. Daran, dass Ludwig frei sein würde, wenn Auguste starb, durfte sie nicht einmal denken!
Ludwig nickte langsam. Dann wandte er sich von ihr ab und ging zur Tür.
»Die Klavierstunde ist für heute beendet«, sagte er, ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen.
»Ludwig!«, rief sie ihm hinterher. »Versteh mich doch, ich möchte einfach nicht … die Schuld … Auguste …«
Er blieb stehen und wandte sich um.
»Ich habe Auguste geheiratet, weil sie eine beträchtliche Mitgift in die Ehe gebracht hat«, sagte er leise. »Sie ermöglicht es mir, als Komponist zu leben, ohne auf meinen Komfort verzichten zu müssen. Selbst meinen Unterricht gebe ich nur aus Leidenschaft zur Musik, nicht des Geldes wegen. Ohne Auguste wäre das alles anders.«
Er schüttelte den Kopf.
»Mit Liebe hatte und hat unsere Ehe nichts zu tun. Meine Liebe gehört nur dir, Emma. Aber ich möchte dich ganz besitzen, absolut, mit Leib und Seele.« Er hielt kurz inne, dann sagte er fest: »Ganz oder gar nicht.«
Es klang entsetzlich endgültig.
Sie sahen einander durch den Salon hindurch an, musterten sich, ihre Augen fochten einen stummen Kampf.
Wenn er jetzt geht, habe ich ihn verloren, durchzuckte es Emma.
Das durfte sie nicht zulassen. Sie musste sich seine Liebe erhalten, koste es, was es wolle.
»Wann?«, fragte sie tonlos.
»Nächsten Freitag«, antwortete er. »Komm am Vormittag, da ist sie weg.«
Beim zweiten Mal tat es nicht mehr so weh. Vielleicht deshalb, weil Ludwig diesmal in seinem großen, mit dicken Kissen und Decken gepolsterten Bett mit ihr schlief und nicht auf dem Boden. Oder es lag daran, dass er nicht über sie herfiel, sondern sich die Zeit nahm, sie in aller Ruhe zu entkleiden. Angenehm war es trotzdem nicht. Aber immerhin dauerte es nicht lange.
Nachdem er seine Lust gestillt hatte, wollte er sich ihr widmen. Doch sie schüttelte den Kopf und wandte ihm den Rücken zu. Es war schlimm genug, dass sie es wieder getan hatten – genießen wollte und durfte sie es nie mehr.
Aber Ludwig ließ sich nicht abweisen. Mit sanfter Gewalt schob er seine Hand zwischen ihre Beine und entzündete das Feuer in ihr, von dem sie nachts so oft träumte. Als es vorbei war, verachtete sie sich dafür, dass sie es zugelassen hatte. Und für ihr lustvolles Stöhnen hasste sie sich.
Emma ging nach Hause, und ihr fiel auf, dass ihre Liebe sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr glücklich machte. Oder hatte sie das vielleicht nie getan?
Machte die Liebe überhaupt irgendeinen Menschen glücklich?
15
B risbane
P ünktlich zu Silvester erreichte die Forschergruppe Brisbane. Emma war froh, das Jahr 1859 nicht im Busch begrüßen zu müssen. Die tagelange Grübelei hatte sie erschöpft, ebenso wie die ausgedehnten Fußmärsche in der flirrenden Hitze und die vielen Stunden auf dem Pferderücken. Müde trottete sie, Princess an den Zügeln hinter sich herziehend, durch die grünen Straßen der kleinen Stadt. Sie sehnte sich nach kühlem Wasser, einem sauberen Kleid und ein wenig heiterer Ablenkung für ihren rotierenden Geist. Nun, die ersten beiden Wünsche würden bald in Erfüllung gehen, nämlich im Gasthaus, wo ihre Seekiste schon auf sie wartete. Und was die Ablenkung betraf, so musste Emma nur noch bis zum Abend warten. Dann würde sie Carls Freunde kennen lernen und viele andere Menschen.
Auch wenn Carl ständig betonte, australische Silvesterfeiern ließen sich mit deutschen nicht vergleichen: Ihr, Emma, würde dieses Fest nach der selbstauferlegten inneren Einkehr der letzten Tage wie eine rauschende Ballnacht vorkommen, dessen war sie sich sicher.
Der erste Blick in den Spiegel, der in ihrem Zimmer im Gasthaus hing, war ein Schock. Guter
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