Der Duft von Hibiskus
»… gehört halt dazu …« und »… trotzdem guter Wissenschaftler …«.
Mrs. Dunnings tätschelte Carl beruhigend den Arm und antwortete etwas, das Emma nicht verstehen konnte. Ihr warmer Blick ruhte kurz auf Emma, dann nickte sie ihnen noch einmal zu und verließ sie, um sich um ihre anderen Gäste zu kümmern.
Carl gesellte sich wieder zu Emma und Krüger. Letzterer war in die Betrachtung eines Schwarzen versunken, der ein Tablett voller Ananas- und Melonenstückchen, gebratener Fleischhäppchen und bis zum Rand gefüllter Champagnergläser auf der flachen Hand balancierte.
»Gehen Sie schon, bedienen Sie sich«, ermutigte Carl seinen Mitarbeiter. Krüger lächelte dankbar und leistete der Aufforderung unverzüglich Folge.
Carl sah ihm nach und sagte beiläufig: »Mrs. Dunnings ist sehr angetan von dir, Emma.«
»Ach ja?« Emmas Herz klopfte schneller, wie immer, wenn sie alleine miteinander sprachen und er sie beim Vornamen nannte. »Deine Freundin kennt mich doch noch gar nicht.«
»Nein. Aber sie hat ein untrügliches Gespür für das wahre Wesen der Menschen.«
Emma lachte unbehaglich. »Klingt nach Zauberei.«
»Durchaus nicht. Victoria hat lediglich einen scharfen Blick – und sie vertraut ihrer Intuition.« Carl schaute ihr in die Augen. »Von dir hat sie gesagt, deine Anwesenheit hier wiege die von Pagel hundertmal auf.«
»Oh.« Emma zögerte. Dann stellte sie die Frage doch.
»Was hast du ihr geantwortet?«
»Das, liebe Emma«, sagte Carl und grinste, »ist mein Geheimnis.«
Er nahm sie beim Arm und schlenderte mit ihr durch den Salon. Sie schnappte Gesprächsfetzen auf Englisch und Deutsch auf, irgendwo erklang Klavierspiel, es duftete nach exotischen Blumen. Emma vergaß die Grübeleien der letzten Tage und ergab sich aufatmend der Schönheit ihrer Umgebung. Den heutigen Abend, beschloss sie, würde sie einfach nur genießen. Weil Silvester war. Weil das schrecklichste Jahr ihres Lebens zu Ende ging. Und weil sie Carl an ihrer Seite wusste – zumindest für den Moment.
Er sah sich suchend im Raum um, und sie nutzte die Gelegenheit, um ihn von der Seite zu betrachten. Carl bewegte sich in seinen feinen Kleidern ebenso natürlich und unverkrampft wie in seinem Buschanzug. Sein langer, schwarzer Frack wurde durch ein lässig gebundenes Halstuch und eine cremefarbene Weste aufgelockert, und Emma dachte bei sich, dass er fast schon unanständig gut aussah.
»Ah, da ist ja mein Freund!«, rief er in diesem Moment aus. »Komm, Emma, ich stelle dich Mr. Dunnings vor.«
»Hat Mr. Dunnings auch den Zauberblick?« Emma ließ sich durch die Menge ziehen. »Dafür, dass dies nur ein kleines Fest sein soll, finde ich die Anzahl der Gäste übrigens beachtlich.«
»Du kennst die Silvesterfeiern in München nicht«, meinte Carl spöttisch. »Rauschende Partys, nach denen man sich tagelang halbtot fühlt.«
»Klingt nicht sehr verlockend.«
»Meine Freunde haben das anders gesehen. Sie sind aus allen Wolken gefallen, als ich mich just auf einer dieser Partys dazu entschlossen habe, nach Australien zu gehen.« Er lächelte schief. »Das ganze Jahr über den Biedermann zu geben und zu Silvester dann in jeder Hinsicht über die Stränge zu schlagen – dem konnte ich einfach nichts abgewinnen.«
Neugierig fragte Emma: »Über die Stränge schlagen? Inwiefern?«
Carl zuckte mit den Schultern. »Alkohol in sich hineinschütten bis zum Erbrechen. Große Reden schwingen, für die man sich am nächsten Tag schämt. Das Hausmädchen in den … ähm, das Hausmädchen zwicken. Die Ehefrau hemmungslos betrügen. Und das alles nur, um die Langeweile des eigenen Lebens zu vergessen.« Carl schüttelte angewidert den Kopf. »Nein, Emma, so ein Mann wollte ich nicht werden. Aber vielleicht wäre genau das passiert, wenn ich in München geblieben wäre, wo alle um mich herum dieses Verhalten normal fanden. Sogar meine Eltern.«
Emma senkte den Blick. Die Ehefrau hemmungslos zu betrügen … Das traf auch auf Ludwig zu. Nicht nur an Silvester.
Und ich habe mich ebenso schuldig gemacht wie er, durchzuckte es sie.
Carls Worte hallten in ihrem Kopf wider, und sie fragte sich, ob das alles war, was von ihrer vermeintlichen Liebe bleiben sollte: das Gefühl, blind und naiv bei einem schäbigen Spiel mitgespielt zu haben.
Endlich blieb Carl stehen und begrüßte einen Herrn um die Vierzig mit einem imposanten Schnauzbart und fröhlichen Augen. Das musste Mr. Dunnings sein. Emma riss sich zusammen und schüttelte
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