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Der Duft von Hibiskus

Der Duft von Hibiskus

Titel: Der Duft von Hibiskus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Eukalyptuswald vollkommen und wurde zu einem wuchernden, blühenden Paradies! Das Verrückte daran war, dass sich der Wandel der Vegetation nicht allmählich vollzog, sondern so abrupt, als schaue man durch eine Tür in eine andere Welt – und Emma würde nur wenige Minuten laufen müssen, um hineinzugelangen!
    Mit offenem Mund starrte sie in das undurchdringliche Gewirr aus feucht und üppig glänzenden Blättern und Ranken. Wenn das der Regenwald war, dann war er das Schönste, was sie je gesehen hatte.
    »Mach den Mund wieder zu, Kindchen«, sagte Oskar, der unbemerkt neben sie getreten war. »Sonst fliegt dir noch eines dieser widerlichen Insekten hinein.«
    Seine Hand schnappte blitzschnell nach etwas in der Luft, das dort friedlich brummend vorbeiflog. Dicht vor Emmas Nase öffnete er die Hand wieder, und Emma zuckte erschrocken zurück, als das riesenhafte, schwarzpelzige Insekt eilig aus seinem Gefängnis entfloh.
    Oskar lachte. »Das bringe ich dir mal zum Zeichnen«, sagte er. »Nach so was leckt Godeffroy sich die Finger. Man wird es mit gepflegtem Ekel betrachten und sich darüber freuen, dass man solcher Kreatur in Deutschland niemals in natura begegnen wird.« Grinsend schlenderte er davon.
    Ärgerlich sah Emma ihm nach. Er musste doch gesehen haben, wie ergriffen sie vom Anblick des Regenwaldes gewesen war. Warum hatte er ihr die Freude zerstört?
    Die Antwort gab sie sich gleich selbst: weil er immer noch wütend auf mich ist. Ich hätte in Ipswich nicht so schnippisch sein dürfen. Selbst schuld, meine Gute.
    Ihr Zorn fiel in sich zusammen. Sie konnte nur hoffen, dass Oskar sich wieder fangen und die Kränkung vergessen würde, die sie ihm nach dem Tanzen zugefügt hatte. Sonst würde die Zusammenarbeit mit ihm in Zukunft kein Spaß sein – noch weniger als bisher. Wie schade wäre das, wo so interessante Pflanzen im Regenwald auf sie warteten!
    Ihr Blick glitt zurück zu der feuchten Üppigkeit jenseits des Eukalyptuswaldes. Sie stellte sich vor, wie es sein würde, in diese leuchtend grüne Wildnis einzudringen, und unwillkürlich fühlte sie Aufregung und Neugierde in sich aufsteigen.
    Ach, fahr zur Hölle, Oskar, dachte sie. Ich werde zeichnen, bis mir das Papier ausgeht und meine Bleistifte nur noch kurze Stummel sind, egal wie viel du meckerst und kritisierst. Weil mir das Zeichnen Freude macht!
    Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Neben ihr schnaubte Princess, und Emma spürte den warmen Pferdeatem an ihrem Ohr.
    Sie strich der Stute über die Nüstern und sagte zärtlich: »Na komm, du geduldige Prinzessin, gehen wir an den Bach. An diesem wundervollen Ort wirst du sicher keinen Durst leiden müssen!«
    Wie Emma es sich gedacht hatte, bestimmte Carl das Haupthaus zur Forschungsstation. Sie hatten Glück: Die zurückgelassenen Möbel in den Zimmern – Tische, Stühle und grob gezimmerte Schränke – würden ihnen noch eine ganze Weile gute Dienste leisten. Gemeinsam überlegten die Forscher und Emma, in welchem der Zimmer die Männer ihr Material lagern wollten, in welchem sie Pflanzen pressen und Tiere konservieren würden und welches sich als Zeichenraum eignete.
    Emma entschied sich für einen Raum im hinteren Teil des Hauses. Wenn sie dort aus dem Fenster schaute, sah sie nicht nur die kreisförmig um den Platz angeordneten Hütten, sondern auch – hinter den Eukalypten – den Regenwald. Sein Grün leuchtete so verheißungsvoll, dass es Emma in den Füßen kribbelte; am liebsten wäre sie unverzüglich zu ihrem ersten Erkundungsgang aufgebrochen. Doch das war unmöglich. Erst mussten die Ochsen abgeladen, die Pferde versorgt, das Haupthaus eingerichtet und die Hütten verteilt werden. Oskar und Pagel würden Tiere schießen, Carl und Krüger sich um Feuer und Tee kümmern, und sie selbst würde eine Mehlsuppe kochen – ein Gericht, das sie inzwischen im Schlaf zubereiten konnte.
    Nach dem Essen würde es dunkel sein.
    Sehnsüchtig schaute sie aus dem Fenster in die Ferne. Ob es im Scrub auch Eingeborene gab? Sie zweifelte kaum daran. In einer solch fruchtbaren Umgebung lebten ganz sicher Menschen. Menschen, die all die Pflanzen, die die Forscher sammeln wollten, seit ewigen Zeiten kannten. Menschen, die mit den Gefahren des Regenwaldes – mit giftigen Früchten, Schlangen und tödlichen Insekten – von klein auf vertraut waren. Menschen, die alles über den Regenwald wussten und die sich in ihm so sicher bewegten wie Emma in den Straßen Stuttgarts.
    Nachdenklich räumte sie

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