Der Duft von Orangen (German Edition)
waren. Ich meine, da war er angespannt, das konnte man sehen. Das war irgendwie sehr süß. Aber an dem Tag, an dem du dich selber in die Dunkelheit geführt hast, dachte ich wirklich, er würde irgendetwas zu Kleinholz machen. Im Zweifel mein Gesicht.“
Ich lachte unbehaglich. „Das war auch ziemlich dumm von mir.“
„War es das?“ Sie schaute mich neugierig an. „Ich weiß nicht. Wenn du es schaffst, eine Episode heraufzubeschwören, meinst du nicht, dass du dann auch lernen könntest, aus ihr wieder herauszukommen? Vergiss es. Johnny hatte recht – es war gefährlich, und ich bin keine gute Freundin, dass ich es überhaupt vorschlage.“
„Nein, das stimmt nicht. Ich glaube, an deiner Theorie ist durchaus etwas dran. Es ist nur so, dass ich ihm versprochen habe, es nie wieder zu probieren und …“ Ehrlich gesagt, hatte ich auch Angst davor.
„Ich verstehe das. Wirklich. Und ich bin ja auch kein Arzt oder so. Ich schaue mir ja nicht mal die Krankenhausserien im Fernsehen an. Johnny hat vollkommen recht. Ich sollte dir nicht vorschlagen, mit deinem Gehirn zu experimentieren.“
„Das Ding ist, die meisten epileptischen Störungen können nicht mit dem Geist kontrolliert werden. Wenn sie es könnten, würden die Leute keine Medikamente benötigen. Aber Meditation, Akkupunktur und alternative Medizin haben bei mir immer gewirkt, und zwar besser als herkömmliche Medikamente. Außerdem hat niemand jemals wirklich eine epileptische Störung diagnostizieren können. Jeder Arzt, bei dem ich war, hat etwas anderes gesagt. Es gibt einen leichten Schatten auf den CTAufnahmen, aber weder wird er größer noch verschwindet er.“ Ich seufzte. „Echt blöd.“
„Total“, stimmte Jen zu. „Was hast du dir nur dabei gedacht, dir dein Gehirn kaputt zu machen?“
Ich war froh, dass ich mit ihr über etwas lachen konnte, das eigentlich nicht zum Lachen war. „Ich weiß nicht. Ich schätze, ich war kein sonderlich kluges Kind.“
„Mein Gott, wer ist das schon? Ich bin einmal mit einem Bettlaken als Superman-Umhang aus dem zweiten Stock gesprungen. Ich dachte, ich könnte fliegen.“
„Wann hast du gemerkt, dass du es nicht kannst?“
Sie schnaubte. „Sobald ich abgesprungen war.“
Wir lachten wieder, schüttelten unsere Köpfe über unser dummes Verhalten in der Kindheit. Ich schaute noch einmal auf die Uhr. „Okay, jetzt muss ich wirklich los. Ich denke, ich werde ein wenig Hackfleisch für einen Braten kaufen.“
„Vergiss nicht die Schürze und die Perlenkette“, riet Jen mir und stand mit mir auf. „Und die Pumps.“
Auf dem Weg zum Supermarkt dachte ich über das nach, worüber wir gesprochen hatten. Ich schob den Wagen durch die Gänge und kaufte nicht nur Sachen für mich ein, sondern auch für Johnny. Ich wählte sein bevorzugtes Olivenöl. Toilettenpapier von der Marke, die er lieber mochte, auch wenn es teurer war. Seine Lieblingschips mit Salz-und-Essig-Geschmack.
Es fühlte sich nicht falsch an, andere Entscheidungen zu treffen, als ich es für mich alleine getan hätte. Ich hatte weder das Gefühl, Kompromisse zu machen, noch mich selber zu verleugnen. Dieser schlichte Einkauf war jetzt Teil von etwas Größerem. Es ging nicht um die Marke der Butter oder darum, wie viele Packungen Reis ich kaufte. Es ging nicht um ein einzelnes Abendessen oder auch einen Monat voller Abendessen.
Es ging darum, ein Leben mit ihm aufzubauen.
Dieser Gedanke ließ mich mitten im Gang erstarrten. Meine Hände klammerten sich an den Griff des Einkaufswagens. Der Boden neigte sich auf die vertraute Weise unter mir. Ich dachte, einen Hauch Orangenduft wahrzunehmen. Ich wartete darauf, dass die Episode kommen und mich mitnehmen, mich in Dunkelheit hüllen würde. Dann erkannte ich, dass es nicht von einerEpisode kam. Die Welt neigte sich nicht, weil mein kaputtes Gehirn es mir vorgaukelte, sondern weil mich die Gefühle übermannten.
Ich war mir nicht sicher, ob ich gerade eine Episode abgewehrt hatte oder einfach davon ausgegangen war, dass dieses schwindelige Gefühl der Vorbote von einer war. Denn noch nie zuvor hatten mich meine Emotionen derart überrollt, ohne dass danach die Dunkelheit gefolgt war. Doch die Welt verschwamm nicht vor meinen Augen. Ich erwachte nicht auf einer Blumenwiese oder in einem Kanu an den Niagarafällen.
„Entschuldigung“, sagte eine junge Mutter mit einem vollen Einkaufswagen, in dessen Sitz ein strahlendes Baby saß.
Ich trat beiseite, um ihr Zutritt zu den
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