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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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zu sagen, dass es sich um eine Lüge handelte. Aber alles ging so schnell. Etienne sprang auf und sagte, sein Ziel sei es gewesen, der Krankheit ein für alle Mal Einhalt zu gebieten, ihr nicht zu erlauben, auf die nächste Generation überzuspringen. Und siehe da, er hatte nicht einmal, sondern gleich zweimal versagt. Er hatte mit dir ein Kind gezeugt, Sidonie, nur um nun zu erfahren, dass er bereits eines in die Welt gesetzt hatte. Badou. Sein Gesicht war aschfahl, und er stand am ganzen Körper zitternd da. Ich fasste ihn am Arm, sagte: ›Nein, warte, Etienne‹, aber da rauschte er auch schon in die Nacht hinaus.«
    Ich konnte mir die Szene lebhaft vorstellen.
    » Ich stritt mit Manon, beschwor sie, ihm die Wahrheit zu sagen. Doch sie meinte, er würde die Schande und Demütigung verdienen. Dass alle Schande der Welt nicht genüge, um die Ungerechtigkeit wiedergutzumachen; vielleicht würde er ja jetzt begreifen, wie sie sich gefühlt hatte, als sie von ihrem Vater betrogen worden war.« Er machte eine nachdenkliche Pause. » Manon und Etienne sind einander ähnlich, Sidonie, beide gleichermaßen ichbezogen. Diese Charaktereigenschaft haben sie gemein.«
    Er hatte recht.
    » Wie auch immer, an jenem Abend blieb ich bei ihr«, fuhr er fort, » um auf Etiennes Rückkehr zu warten, mochte Manon auch noch so schäumen vor Wut. Ich habe sie schon so viele Dinge tun sehen, die ich keineswegs billigte, aber mit dieser Lüge wollte ich sie nicht davonkommen lassen. Mag Etienne ein selbstsüchtiger Mensch sein, so war es nicht fair, ihn noch mehr leiden zu lassen. Seine Krankheit, so sagte ich mir, würde ihm noch genug Leid bescheren. Ich war fest entschlossen, ihm die Wahrheit über Badou zu sagen, dass er nicht sein Kind ist.« Er ballte seine Hände so fest zu Fäusten, dass die Venen auf seinen Handrücken blau hervortraten. Hände, die kraftvoll eine Schaufel bedienen, aber auch zart ein Kind halten konnten. » Doch er kam nicht zurück. Er blieb einfach weg. Er hatte seine Kleidung, seine Bücher, ja sogar seine Brille dagelassen. Ein paar Wochen später schickte er Manon einen Brief – ich hatte dir davon erzählt –, in dem er schrieb, dass er die Zeit zum Nachdenken genützt habe und die Verantwortung für sein Kind übernehme. Alle paar Monate würde er nach Marrakesch kommen, um Badou zu besuchen. Das war seine Art, ihr zu verstehen zu geben, dass es dem Kind an nichts fehlen würde.«
    Ich nickte. Manon glaubte, sie hätte gewonnen. Auf diese Weise konnte sie Etienne weiterhin erpressen. Und er würde aus seinem Schuldgefühl heraus ihre Forderungen erfüllen. Eine Weile saßen wir schweigend da. Abgesehen von dem gelegentlichen Gurren der Taube war es still um uns herum.
    » Und – hast du es ihm gesagt?«
    Aszulay schüttelte den Kopf. » Als ich Badou neulich abholte, um ins bled zu fahren, war wie gesagt Etienne bei Manon. Aber es war nicht der richtige Zeitpunkt. Badou war dabei, und Manon wollte uns aus dem Haus haben. Außerdem hatte Etienne mir gesagt, er wolle eine Zeit lang bleiben. Also nahm ich mir vor, gleich nach unserer Rückkehr mit ihm zu reden. Doch als ich heute Abend dort war, sagte mir Manon, er sei ausgegangen. Sie weiß, was ich vorhabe, und wird versuchen, mich daran zu hindern. Sie sagte mir, ich sei nicht mehr willkommen und solle mich nie mehr in der Sharia Zitoun blicken lassen.«
    Ob Etienne tatsächlich noch in Marrakesch war? Ich dachte an seinen überstürzten Weggang an diesem Nachmittag und fragte mich, ob er nicht wieder die Flucht ergriffen hatte, so wie er nach Amerika geflohen war, nachdem er erfahren hatte, dass die Frau, die er liebte, seine Halbschwester war. Und so wie er überstürzt nach Marokko zurückgekehrt war, nachdem ich ihm gesagt hatte, ich sei schwanger. Davonzulaufen war Etiennes Art, mit Schwierigkeiten umzugehen.
    » Jetzt kann ich nur noch hoffen, ihm irgendwann zufällig zu begegnen und ihm die Wahrheit zu sagen. Aber es wird nicht einfach sein, Manon wird es zu verhindern versuchen.«
    Wieder herrschte eine Weile Schweigen.
    » Und nun, Sidonie?«
    » Was meinst du damit?«
    » Was hast du vor?«
    » Ich … was soll ich hier noch? In Marrakesch.« Ich sah ihn an und wartete, dass er sagte, was ich hören wollte. Was ich hören musste. Bleib, Sidonie. Ich will, dass du bleibst. Bleib bei mir.
    Lange sagte er nichts und blickte mich auch nicht an. Er schluckte, und ich sah, wie sich sein Adamsapfel bewegte. Und dann sagte er: » Ich verstehe.

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