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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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dunkles Haar und die dunklen Augen auf. Wie meine, dachte ich.
    » Guten Tag, Miss O’Shea«, sagte er mit dem Anflug eines Lächelns und sah mich eindringlich an. Einen Moment später war das Lächeln verschwunden, und eine Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen. » Ich habe Ihren Freund angerufen – die Nummer, die Sie mir gegeben haben –, weil ich beim Nachsehen in meiner Patientenkartei bemerkt habe, dass Sie nicht wiedergekommen sind, um die Nähte entfernen zu lassen.«
    Während er neben mir stand, sah ich zu ihm auf und bemühte mich noch immer, meine Magenkrämpfe im Zaum zu halten. » Sie hätten rechtzeitig in die Sprechstunde kommen müssen. Miss O’Shea, haben Sie nicht gesehen, was passiert ist?«
    » Passiert?«, wiederholte ich schwach. » Was meinen Sie damit?«
    » Das Fleisch ist über die Nähte gewachsen, und die Wunde, sie wird wieder …« Er sagte etwas auf Französisch, doch so leise, dass ich es nicht verstand. Dann fügte er wieder in Englisch hinzu: » Keloid. Ein Keloid entsteht.«
    » Was ist das?«
    » Das Gewebe, es wächst zu schnell. Schauen Sie …« Er nahm einen Handspiegel von seinem Schreibtisch und hielt ihn vor mich hin, sodass ich mein Gesicht sehen konnte, während er mit den Fingern über meine rote Narbe fuhr. » Diese Schwellung ist eine Wucherung von faserigem Narbengewebe. Ihr Gewebe war überaktiv, ist zu schnell gewachsen. Wir hätten es verhindern können. Haben Sie nicht gefühlt ein Jucken und Ziehen?«
    Ich schüttelte den Kopf. » Es ist unwichtig.«
    Er starrte mich an, und angesichts seines Ausdrucks verspürte ich plötzlich Scham. Ich legte die Hand auf meine Wange. Sie war heiß. » Mein Vater … die Beerdigung und … und all das. Ich habe es vergessen. Oder … ach, ich weiß auch nicht«, stammelte ich. Ich wollte meinen desolaten Zustand, in dem ich mich in den letzten Wochen seit dem Tod meines Vaters befunden hatte, nicht vor ihm ausbreiten.
    Der Gesichtsausdruck des Arztes wurde weicher, und er setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl. » Das verstehe ich. Es ist eine schwere Zeit für Sie. Ich habe meine Eltern auch verloren«, sagte er, und als ich diese Worte aus seinem Mund vernahm, dem Mund eines Mannes, den ich nicht kannte, brannten meine Augen. Weder bei der Beerdigung noch hinterher hatte ich weinen können, als Nachbarn und alte Freunde meines Vaters zu unserem Haus gekommen waren und die Frauen mich in den Arm genommen, die Männer mir die Hand oder Schulter getätschelt hatten.
    Während der letzten drei Wochen war ich stark gewesen. Ich war stark gewesen, als ich den Model T gewaschen und die Motorhaubenzierelemente poliert hatte, war stark gewesen, als ich die Hemden meines Vaters gebügelt, seinen Rasierpinsel befeuchtet hatte und damit über die Rasiercreme gefahren war, um dann am Schaum zu riechen, war stark gewesen, als ich seine Pfeife zwischen die Lippen genommen und das leicht bittere Aroma seines Tabaks geschmeckt hatte, und ich war stark gewesen, als ich auf seinem Bett gelegen und ein silbernes Haar auf seinem Kissen entdeckt hatte. Die ganze Zeit über war ich stark gewesen, sagte ich mir, also hatte ich jetzt kein Recht, wegen meines Starrsinns und meiner fatalen Nachlässigkeit zu weinen.
    Was hatte dieser Mann für eine Macht über mich, dass er so unerwartet Gefühle in mir wachrief und ich am liebsten den Kopf an seine Schulter gelegt und geweint hätte? Dass ich wünschte, er würde mich in seine Arme ziehen? Ich schluckte und blinzelte und war erleichtert, dass meine Augen trocken blieben.
    » Geht es Ihnen gut, Miss O’Shea?«, fragte er. » Ich sehe … Vielleicht sollten Sie ein andermal wiederkommen. Aber es ist schon zu viel Zeit vergangen für Ihr Gesicht. Lassen Sie mich anschauen.« Ich hob das Kinn, und wieder beugte er sich zu mir vor und tastete mit den Fingern sanft über meine Wange. Sie rochen nach Desinfektionsmittel und, so schien mir, nach einem Hauch von Tabak. Wieder musste ich an meinen Vater denken. Seine Finger übten einen bestimmten und zugleich sanften Druck auf meine Wange aus.
    » Sie sind Franzose«, sagte ich und kam mir albern vor, eine so offensichtliche Feststellung gemacht zu haben.
    Doch er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, setzte sich die Brille auf und sagte » Oui«, während er in meiner Akte las.
    » Meine Mutter war auch französischer Abstammung. Nicht aus Frankreich, sondern aus Kanada.«
    » Je sais«, murmelte er und las weiter.
    » Sie wissen das?«, fragte

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