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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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ich überrascht.
    Er legte die Akte auf den Schreibtisch und nahm die Brille ab. Diesmal lächelte er wieder, dieses angedeutete, unbewusste Lächeln, das so typisch für ihn schien. » Nicht dass Ihre Mutter Kanadierin war. Aber ich habe gehört, dass Sie auf Französisch beten und singen. Ich habe Sie ein französisches Lied singen hören.«
    » Ich habe gesungen?« Wieder war ich verblüfft.
    » Dodo, enfant, do. In der Nacht, als … als Ihr Vater starb. Wenn ich an seiner Tür vorbeikam, ich habe Sie singen hören dieses … wie nennt man ein Nachtlied für Kinder?«
    » Wiegenlied«, sagte ich.
    » Ja. Meine Mutter hat mir das auch vorgesungen. Ein sehr altes Lied.« Wieder dieses unbefangene, warme, aufrichtige Lächeln. Im nächsten Moment war es wieder verschwunden. » Miss O’Shea. Wollen Sie, dass Ihr Gesicht wieder besser wird?« Er reichte mir abermals den kleinen Handspiegel.
    Ich ergriff ihn und betrachtete mein Spiegelbild. Die Narbe war feuerrot, geschwollen und wulstig und verlief senkrecht von meinem Wangenknochen bis zum Kinn. Sie war so hässlich, dass ich erschrak. Wie hatte mir das entgehen können? Gewiss hatte ich mich doch im Spiegel betrachtet, als ich mir das Gesicht wusch, vorsichtig, weil die Narbe noch immer schmerzte, oder als ich die Haare bürstete und sie zu dem gewohnten Knoten am Hinterkopf schlang.
    Wieder berührte Dr. Duverger sanft die Narbe mit der Spitze seines Zeigefingers, doch ich fühlte nichts. » Mit einem kleinen Eingriff kann ich die Narbe korrigieren. Sie muss dann neu genäht werden, doch die Narbe wird nicht mehr so auffallen. Sie wird feiner sein und flacher. Wollen Sie, dass ich das tue?«
    Als ich nicht sofort antwortete, sagte Dr. Duverger: » Miss O’Shea?«, und ich löste den Blick von meinem Spiegelbild, um ihn anzusehen.
    » Der Eingriff ist nicht teuer.«
    Ich legte den Spiegel auf den Schreibtisch.
    » Falls Sie deswegen zögern.«
    Ich starrte ihn an. » Nein.«
    Offensichtlich verwirrte ihn meine Reaktion. Ich blickte auf meine Handtasche in meinem Schoß und spielte nervös mit den Schlaufen.
    » Ich verstehe nicht. Warum zögern Sie dann? Haben Sie Angst vor der Operation? Aber das brauchen Sie nicht. Es geht schnell und ohne Komplika…« Er unterbrach sich, und ich hob den Blick von meiner Handtasche. » Oder wollen Sie lieber eine andere Arzt?« Sein Ausdruck war nun verschlossen.
    Er konnte meinen Beweggrund nicht erahnen, wusste nicht, wie groß meine Schuldgefühle waren. Sie lasteten so schwer auf mir und waren ebenso hässlich wie meine Narbe. Und ich hatte Angst, aber nicht vor den Schmerzen, sondern vor den schrecklichen Erinnerungen und Gefühlen, die das Krankenhaus in mir wachrief. Und, wichtiger noch, ich wollte mich nicht von der Narbe trennen, weil sie mir ein ständiges Mahnmal war, an den Menschen, der ich war, und daran, welches Unglück ich mit meiner Starrköpfigkeit heraufbeschworen hatte.
    » Ich kann Ihnen einen Kollegen empfehlen. Vielleicht Sie wollen auch nur eine zweite Meinung einholen. Das ist nicht ungewöhnlich, Miss O’Shea.«
    Ich wünschte, ich wäre an einem anderen Ort. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln, die typischen Krankenhauslaute – die Geräusche der Gummisohlen der Krankenschwestern auf dem Boden, das gelegentliche Stöhnen oder Ächzen hinter einer Krankenzimmertür … alles war so real. Ich wollte nur noch nach Hause und in meinen sicheren vier Wänden sein.
    » Nein, ich habe keine Angst«, sagte ich schließlich. Ich bemerkte, dass meine Stimme ein wenig zu laut war, meine Worte ein wenig zu hastig gesprochen. Ob er heraushörte, dass ich log? Dass er Scharfsinn besaß, war mir nicht entgangen. » Ich weiß nur nicht, ob es den Aufwand und die Zeit lohnt. Im Grunde stört mich die Narbe nicht, und auch sonst gibt es niemanden, der Anstoß daran nehmen könnte. Ich bin überhaupt nicht eitel, müssen Sie wissen, Dr. Duverger.«
    Er hob die Augenbrauen. » Sie haben das Gefühl, es nicht wert zu sein, Miss O’Shea?« Er wartete auf eine Antwort, doch als ich beharrlich schwieg, zuckte er die Schultern. » Wenn das der Fall ist … nun, es ist Ihr gutes Recht.« Er stand auf. » Es tut mir nur leid, dass Sie so wenig Rücksicht auf sich selbst nehmen. Es ist nicht nötig, für immer diese Narbe mit sich herumzutragen.«
    Dann ging er und ließ mich einfach auf meinem Stuhl sitzen. Nach einer Weile nahm ich abermals den Spiegel in die Hand und musterte mein Spiegelbild. Schließlich legte ich ihn

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