Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
versucht, sie zu beobachten, wie sie einander so schamlos in der Öffentlichkeit berührten. Mehr als einmal begegnete ich jungen Männern, die händchenhaltend durch die Straßen spazierten und hin und wieder stehen blieben, um sich zu küssen.
Das war das, was meine Augen zu sehen bekamen. Was darüber hinaus in den Hotelzimmern und den Hinterzimmern der Cafés stattfand, blieb meiner Fantasie überlassen. Ich fragte mich, was die Einwohner von Tanger wohl von diesen dreisten Ausländern halten mochten. Sie selbst schienen die dunklen, engen Souks zu bevorzugen, die von den hellen, geschäftigen Plätzen abgingen; dort schlug der Puls des wahren Tanger, die Souks waren das Herz des arabischen Lebens. Immer wieder staunte ich angesichts des Geräuschwirrwarrs, das aus den verwinkelten Gassen drang, und wünschte, ich könnte mich hineinbegeben, wenigstens ein paar Schritte, blieb jedoch, eingedenk der warnenden Worte des Portiers und weil mich diese neue Welt irgendwie ängstigte, in der Sicherheit der offenen Plätze.
Einen Großteil meiner Zeit verbrachte ich auf dem Dach des Continental. Begleitet von den Rufen der Muezzins von den Minaretten ringsherum, ließ ich den Blick zum Rif-Gebirge wandern, das die untergehende Sonne Abend für Abend blutrot färbte. Jenseits dieser Berge lag in weiter Ferne Marrakesch im Herzen dieses Landes.
Und in Marrakesch war Etienne.
Jeden Tag wurde ich ungeduldiger und nervöser. Ich musste unbedingt dorthin gelangen.
Obwohl ich Tag für Tag Elizabeth Pandy und Marcus sowie weitere Amerikaner sah, war ich bemüht, ihnen aus dem Weg zu gehen. Ich fand ihr ewiges Trinken, ihre lauten Stimmen und ihr Gelächter ermüdend. Eines Nachmittags saß ich in der leeren Lounge, vor Blicken geschützt hinter einer hochlehnigen Bank, und nippte an einem Mineralwasser, während ich versuchte, aus einer nicht besonders genauen Karte Marokkos schlau zu werden, die ich in einem Laden auf dem Grand Socco gekauft hatte. Ich trank mein Wasser aus und faltete die Karte zusammen, doch noch ehe ich aufstehen konnte, hörte ich Elizabeth und ihre Entourage hereinkommen. Sie kamen aus der Rue de la Plage, wo Elizabeth und eine der anderen Frauen in der Nähe den wilden Atlantikwellen getrotzt hatten und in das eisige Wasser getaucht waren, wie ich ihrem Geplauder beim Betreten der Lounge entnehmen konnte.
» Herrlich erfrischend«, sagte Elizabeth mit lauter Stimme.
Ich wäre am liebsten gegangen, wollte aber vermeiden, dass sie mich beim Hinausgehen sahen und in ein Gespräch verwickelten. Also faltete ich die Karte wieder auseinander und studierte sie geflissentlich, in der Hoffnung, dass sie nur einen Drink nehmen und dann wieder gehen würden. Ich bemühte mich, gar nicht auf sie zu achten, da es mir aber schwerfiel, mich zu konzentrieren, lehnte ich mich schließlich zurück und lauschte müßig ihrem belanglosen Geplapper und Tratsch. Als ich plötzlich meinen Namen hörte, erstarrte ich.
» Ich frage mich, ob sie schon eine Möglichkeit gefunden hat, nach Marrakesch zu gelangen«, sagte Marcus. » Sie ist offenbar fest entschlossen, auch wenn sie ansonsten kaum die Voraussetzungen für eine solche Reise mitbringt. Es scheint sogar, dass sie eine Gehbehinderung hat.«
» Eine ziemlich seltsame und verklemmte Frau, findet ihr nicht auch? Nicht unattraktiv, trotz ihrer Narbe und ihrer aus der Mode gekommenen Kleidung und, meine Güte, dieser Schuhe, aber dieser schwermütige Blick hat es in sich!«, sagte Elizabeth. » Man will ja nicht neugierig sein, aber ich würde schon ganz gern wissen, was dahintersteckt. Was für eine seltsame junge Frau«, wiederholte sie. » Was sie sich wohl dabei denkt, so auf eigene Faust nach Marrakesch reisen zu wollen.«
» Oh, sie ist bestimmt hinter einem Mann her. Was für einen anderen Grund sollte es geben? Auch scheint es, dass sie sich selbst ganz gern in der Rolle der tragischen Heldin einer Romanze sieht«, sagte eine andere Frau. Bei dem abfälligen Ton in ihrer Stimme durchfuhr es mich heiß.
So sahen sie mich also? Als eine merkwürdige, bemitleidenswerte Person?
Ich wusste, dass ich in meinem Viertel in Albany als unkonventionell galt. Gewiss kannten mich alle als eine Frau, die am liebsten für sich blieb, die gern im umliegenden Ödland und der Dünenlandschaft umherstreifte und es ansonsten vorzog, sich um ihren Vater zu kümmern, statt zu heiraten. Auch wenn ich keine traditionell orientierte Frau war, so hatte ich in meiner Vorstellung
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