Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
hatte er mehr als einmal gesagt. Und jedes Mal hatte ich eine Mischung aus Wut und Scham verspürt. Wut ihm gegenüber und Scham für mich selbst, weil ich es nicht übers Herz brachte, ihm begreiflich zu machen, dass kein Mann mich je heiraten würde.
Während ich auf der Verandastufe saß und seine Worte Revue passieren ließ, ging das Licht im Haus der Barlows aus, und plötzlich fielen mir Mr Barlows Worte ein, ich solle mir keine Sorgen wegen der Miete machen. Ich ging nach drinnen und holte den Brief hervor, den ich vom Anwalt erhalten und zu Hause in eine Schublade der Anrichte gelegt hatte. Ich sah mir die Summe meines ererbten Vermögens an, und erst da verstand ich, wie klein sie war. Ich überschlug, was ich wöchentlich für Lebensmittel ausgab. Für die Kohlebriketts zum Heizen. Meine Malutensilien. Mit dem Geld würde ich nur wenige Jahre über die Runden kommen, selbst wenn Mr und Mrs Barlow so großzügig waren, mich kostenlos in dem Haus wohnen zu lassen. Aber was würde ich tun, wenn es aufgebraucht war?
Da begriff ich, dass es meinem Vater zwar auch um mein Glück gegangen war, aber dass er sich vor allem gesorgt hatte, was nach seinem Tod aus mir werden würde. Wovon ich meinen Lebensunterhalt bestreiten würde. Er hätte mich so gern versorgt gewusst, da ich keinen Beruf erlernt hatte, der es mir ermöglichte, auf eigenen Beinen zu stehen.
Panik überkam mich. Noch immer im Mantel legte ich mich mit Zinnober ins Bett und streichelte sie. Und als es ihr unter der Bettdecke zu warm wurde und sie sich zu befreien versuchte, umklammerte ich sie noch immer wie eine Rettungsleine, die mich mit dem Ufer verband, während ich in einem viel zu kleinen Boot saß.
Vier Tage später stand Mr Barlow dann vor der Tür, um mich ins Krankenhaus zu fahren.
» Sidonie?«, sagte er und drehte noch immer die Kappe in den Händen.
Meine Gedanken waren abgeschweift, und ich zuckte zusammen.
» Ach ja, tut mir leid, das Krankenhaus. Wann soll ich denn kommen?«
Er zuckte mit den Schultern. » Das hat Nora nicht gesagt. Nur, dass du deinen Termin versäumt hast und ihn nachholen sollst. Wenn du willst, kann ich dich gleich fahren.«
Ich setzte Zinnober auf den Boden – sie war nun dreizehn Jahre alt und ziemlich schwer – und nahm meinen Mantel vom Garderobenhaken hinter der Tür. Als wir in der Frühlingssonne zu seinem Lastwagen gingen und ich die Hände in die Taschen steckte, ertastete ich in der linken Tasche einen Gegenstand. Es war eine kleine Tube mit einem zusammengefalteten Zettel. Zwar hatte ich den Mantel seit meinem Krankenhausaufenthalt mehrmals getragen – bei der Beerdigung, zum Kirchgang, als wir zum Büro des Anwalts fuhren, wenn ich auf der Veranda saß oder zum Einkaufen ging –, die Salbe aber hatte ich nicht bemerkt. Ich wusste nicht mehr, ob ich sie unbewusst übersehen oder schlichtweg die Hände nicht mehr in die Taschen gesteckt hatte.
Auf dem Zettel stand die Anweisung, dass ich die Salbe, die der Arzt mir gegeben hatte, dreimal täglich auftragen solle. Wenn sie aufgebraucht sei, könne ich eine neue bekommen. Auch das Datum meines nächsten Arzttermins war darauf angegeben, er war seit zwei Wochen verstrichen. Ein Briefkopf prangte auf dem Notizzettel: Dr. E. Duverger, MD .
Die Fahrt verlief schweigend, und als ich ausstieg, berührte mich Mr Barlow am Arm.
» Ich warte auf dich«, sagte er.
Ich nickte und ging dann die Eingangsstufen zum Krankenhaus hinauf. Als mich an der Tür die Erinnerung an die Nacht überkam, in der mein Vater gestorben war, und daran, wie ich am Morgen danach im frühen Morgenlicht zu Mr Barlows Lastwagen gegangen war, hielt ich inne. Eine Welle der Übelkeit stieg in mir auf. Ich konnte unmöglich wieder durch diese Tür treten. Abrupt drehte ich mich um und wollte wieder die Stufen hinabsteigen. Doch dann sah ich, wie Mr Barlow den Wagen parkte. Ich konnte seinen Hinterkopf durch die Heckscheibe erkennen.
Unmöglich konnte ich mir vor ihm diese Blöße geben, unverrichteter Dinge zu ihm zurückzugehen und ihn zu bitten, mich umgehend wieder nach Hause zu fahren. Ihm gegenüber zuzugeben, dass ich Angst hatte, das Krankenhaus zu betreten.
Ich atmete tief ein und ging hinein. Mein Magen rebellierte, und ich sah mich suchend nach der Damentoilette um, fand aber kein Hinweisschild. Ich meldete mich beim Empfangsschalter, und man führte mich in ein kleines Zimmer. Nach einer Weile kam der Arzt herein, Dr. Duverger. Zum ersten Mal fielen mir sein
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