Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Heute Nacht schon würden wir die Stadt erreichen. Ich hatte diesen ganzen Weg auf mich genommen, um Etienne zu finden. Hätte ich nicht aufgeregt oder zumindest erleichtert sein sollen? Doch stattdessen befiel mich ein seltsames Unbehagen, das ich nicht zu deuten vermochte.
Dieser letzte Tag war indessen sehr lang. Wir hielten nur kurz in einem Dorf an, um harira zu essen, eine dicke Linsensuppe, und schon ging es wieder weiter auf der schier endlosen Sandpiste.
Als die Sonne am späten Nachmittag ein wenig nachließ, machte ich in weiter Entfernung auf der Fahrbahn etwas aus, das in den Hitzewellen schimmerte wie eine Fata Morgana. Kurz darauf meinte ich, eine einzelne menschliche Gestalt zu erkennen, die mehrere blaue Gewänder zu tragen schien. Sie flatterten um die Gestalt herum, als handelte es sich um einen Zeichenträger, der auf etwas Wichtiges hinweisen wollte. Aus noch größerer Nähe erkannte ich einen Mann. Doch als wir geradewegs auf ihn zufuhren, machte er keinen Schritt zur Seite, um uns vorbeizulassen, sondern ging einfach weiter auf uns zu und zwang Mustapha anzuhalten. Aziz murmelte etwas zu Mustapha.
Der Mann stand gerade und unbeweglich vor uns. Vom Hals bis zu den Knöcheln war er von einem langen blassblauen Gewand bedeckt; um den Kopf hatte er einen dunkelblauen Turban geschlungen, dessen eines Ende seine Nase und den Mund bedeckte. An den Füßen trug er Sandalen.
Mustapha stieg aus und trat ihm gegenüber, sie unterhielten sich kurz, dann kam Mustapha wieder zum Wagen und sagte etwas zu Aziz. Der tauchte die Hand in eine der Taschen zu seinen Füßen, brachte ein kleines Fladenbrot zum Vorschein und reichte es Mustapha. Der gab es dem Mann, der ebenfalls etwas in Mustaphas Hand legte.
Als mein Fahrer wieder ins Auto stieg, kam der Mann in Blau auf meine Wagenseite und starrte mich an. Ich konnte nur seine Augen erkennen und den Rücken seiner Adlernase, und ein Schauder durchlief mich. Seine dunklen Augen waren ausdrucksvoll und blickten herausfordernd, eine Mischung aus Stolz und Bedrohung. Er blieb einen Moment lang stehen und sagte etwas, ohne den Blick von meinen Augen abzuwenden. Zunächst dachte ich, er redete mit mir – nahm er denn an, ich könnte ihn verstehen? Seine Stimme war ruhig und gedämpft durch das Tuch, das er um die untere Gesichtshälfte gewickelt hatte. Schließlich konnte ich seinem Blick nicht länger standhalten und senkte die Augen. Wieder sagte er etwas, und diesmal antwortete ihm Aziz. Der Fremde starrte mich noch eine Weile an und ging dann die Straße weiter in die Richtung, aus der wir gekommen waren, aufrecht und würdevoll, ja beinahe hochmütig.
Mustapha warf den Gegenstand, den ihm der Fremde gegeben hatte, auf den Boden in der Nähe meiner Füße. Es war eine kunstvoll dekorierte Fliese mit einem geometrischen Muster in Grün- und Blautönen.
Ich wollte wissen, was der Mann über mich zu Aziz gesagt hatte.
» Nehmen Sie diese zellij«, sagte Aziz und lehnte sich nach vorn. » Tausch gegen Brot. Immer der l’Homme Bleu etwas zum Tausch geben.«
»Der Blaue Mann? Nennen Sie ihn wegen seiner blauen Kleidung so?«, fragte ich, während ich die Fliese betrachtete. Eine zellij, hatte Aziz sie genannt. Sie fühlte sich warm in meinen Händen an, der Mann musste sie am Körper getragen haben. Ich fuhr mit den Fingern über die glatte Oberfläche und die scharfen Ränder.
» Nein, Stamm heißt Blauer Mann. Er …« Aziz zog den Ärmel etwas zurück und rieb sich den Unterarm. » Das hier …«
» Haut«, sagte ich.
Aziz nickte. » Ihr ganzes Leben sie tragen Gewand und Turban, die blau von Indigopflanze. Et voilà! Deswegen sie sind blau.«
Ich streckte den Kopf zum Fenster hinaus und blickte zurück zu dem Mann, der sich mit geradem Rücken auf der Straße entfernte. » Sind sie Araber?«
» Non. Berber. Aber andere Berber: Tuaregs. Nomaden aus Sahara. Reden wie wir, aber haben auch andere Sprache. Sie haben Kamelkarawanen, bringen Waren hin und her. Salz, Gold. Immer in der Wüste. Sie gehen durch ganz Marokko und weiter, bis Timbuktu.«
» Sind sie auch Muslime?«
Aziz zuckte die Schultern. » Ein paar, aber die meisten nicht. Die Frauen zeigen Gesicht, die Männer bedecken es. Sie sind wie …« Er suchte nach dem geeigneten Wort. » Wie Gegenteil von Muslime. Die Blaue Männer und ihre Frauen tun, was sie wollen. Sie sind das Volk von Wüste. Kein König, vielleicht manchmal Gott, manchmal kein Gott. Wüstenvolk«, sagte er noch mal.
Ich
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