Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
wünschte, ich hätte den Mann ohne seine Gesichtsbedeckung gesehen, die den größten Teil des Gesichts verhüllte. Gern hätte ich einen solchen Mann gemalt, dachte ich, während ich die Fliese zwischen meinen Handballen hielt und versuchte, mir seine Züge vor Augen zu führen. Ein Blauer Mann.
Als eine Stunde später Mustapha eine Hand vom Lenkrad nahm und geradeaus deutete, dachte ich noch immer an ihn. » Madame. Marrakesch«, sagte er, und ich beugte mich nach vorn, um durch die staubverkrustete Windschutzscheibe zu spähen.
Dann streckte ich den Kopf zum Seitenfenster hinaus. Ein heißer Wind peitschte mir das Haar um den Kopf. Vor uns erhob sich eine Mauer aus Rot. Mit einem Mal ging mein Atem schneller, und mein Herz hämmerte wie wild gegen die Rippen. Ich lehnte mich zurück und presste die Hand an die Brust, um meinen Herzschlag zu beruhigen.
Ich war angekommen. Ich war in Marrakesch, der Stadt, in der ich die Antworten zu finden hoffte, die ich suchte. Wo ich Etienne zu finden hoffte.
ZEHN
Z wei Monate nachdem Dr. Duverger mit mir über meine Narbe gesprochen und ich ihm gesagt hatte, dass ich kein Interesse daran hätte, sie operieren zu lassen, meinte ich ihn auf der Straße zu sehen, während ich meine Einkäufe erledigte. Ich hielt den Atem an, weil ich ihm nicht begegnen wollte. Doch als der Mann in ein Schaufenster blickte und ich sein Profil sah, war ich erneut von meiner Reaktion überrascht: Diesmal war ich enttäuscht. Es war nicht der Arzt.
Ich war mir meines Aussehens durchaus bewusst und wollte ihm deswegen aus dem Weg gehen. Andererseits hätte ich nichts gegen ein Wiedersehen gehabt, denn während der letzten Monate waren meine Gedanken zu ihm zurückgekehrt und daran, wie sich seine Berührung auf meinem Gesicht angefühlt hatte.
Meine Narbe war abscheulich und entstellte mich weitaus mehr als mein Hinken. Natürlich entgingen mir die Reaktionen der Leute nicht; sie sahen mich an, um rasch wieder den Blick abzuwenden, entweder weil es ihnen peinlich war, mich angestarrt zu haben, oder aber weil mein Anblick sie abstieß. Ich hatte nie die Aufmerksamkeit anderer Menschen auf mich ziehen wollen, und nun forderte ich sie geradezu heraus. Es stimmte schon, was ich Dr. Duverger gesagt hatte: Ich war überhaupt nicht eitel. Und doch hatte ich mich kürzlich eines Morgens dabei ertappt, wie ich meinem eigenen Spiegelbild auswich, weil ich den Anblick meines Gesichtes nicht ertrug. Wollte ich so durch mein restliches Leben gehen? Sicher, die Narbe war ein furchtbares Mahnmal an das, was ich meinem Vater angetan hatte, doch nun fragte ich mich, ob es unbedingt so sichtbar sein musste. Das Gewicht meiner Schuld trug ich doch in mir. Ich trug sie, als wäre sie ein irdener Topf voller Wasser. Deswegen musste ich behutsam mein Leben führen, um ja keinen Tropfen zu vergießen. Diese Schuld war meine eigene persönliche Bürde, und ich musste sie nicht mit allen teilen, die mich ansahen.
An jenem Abend musterte ich das Gesicht im Badezimmerspiegel. Ich stellte mir vor, wie mein Körper beim Betreten des Krankenhauses reagieren würde. Die Vorstellung ließ meinen Mund noch immer trocken werden und meinen Magen rebellieren. Doch dann rief ich mir Dr. Duvergers Finger auf meiner Wange ins Gedächtnis, wie sie sanft das wuchernde Narbengewebe inspizierten. Seine Augen hatten so besorgt geblickt, und seine einfühlsame Art, sein tiefes Verständnis für meine Gefühle hatten mir gezeigt, dass er ebenfalls seine Eltern verloren hatte.
Wieder sah ich seine rosigen Wangen und seine ebenmäßige Stirn vor mir.
Am nächsten Tag rief ich vom Telefon der Barlows im Krankenhaus an und vereinbarte einen Beratungstermin für eine Operation bei Dr. Duverger. Er fand eine Woche später statt. Ich zog mein bestes Kleid an – es war aus blassgrüner Seide und hatte einen breiten Stoffgürtel – und frisierte sorgfältig mein Haar. Ich ermahnte mich, nicht albern zu sein. Er interessierte sich ja nur für meine Narbe, etwas anderes würde er ohnehin nicht bemerken. Ich war einfach nur eine seiner zahlreichen Patienten; bestimmt behandelte er alle gleich freundlich. Doch all meine Überlegungen fruchteten nichts, denn als er mir die Hand schüttelte, war sie feucht vor Nervosität, und meine Lippen zitterten leicht, als ich ihn lächelnd ansah. Ich hoffte, er hatte es nicht bemerkt.
» Also haben Sie Ihre Meinung geändert?«, fragte er, indem er mein Lächeln erwiderte und mir einen Stuhl anbot.
» Ja.
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