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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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Zinnober ein.
    Während ich die alte Katze betrachtete, dachte ich über mein Leben nach. Ich hatte weder eine reguläre Ausbildung genossen, noch war ich weltgewandt. Auch wenn Etienne mich als schön bezeichnet hatte, machte ich mir keine Illusionen über meine äußere Erscheinung. Ich war schlank, hatte große Augen, die unter den dichten, gewölbten Augenbrauen neugierig in die Welt blickten. Mein dickes, lockiges Haar war schwer zu bändigen, nicht für eine dieser modischen, raffinierten Haarschnitte geeignet, die ich an modernen Frauen sah. Dickköpfig hatte ich mich geweigert, es zu einem Bop frisieren zu lassen, wie er zurzeit in Mode war.
    Mit meinen dreißig Jahren war ich nicht mehr jung. In manchen Gesellschaften galt eine Frau wie ich fast schon als alt. In den Augen der Menschen, die mich in Albany kannten, war ich wahrscheinlich so etwas wie eine alternde Jungfer.
    Ich ging ins Badezimmer und betrachtete mich in dem fleckigen Spiegel über dem Waschbecken. Mein normalerweise gebräunter Teint wirkte aschfahl, und der stumpfe Farbton meiner Lippen passte zu den halbmondförmigen Schatten unter den Augen. An den Schläfen machten sich erste blassere Strähnen bemerkbar. Zwar noch nicht grau oder weiß, aber es sah aus, als würde mein ansonsten tiefschwarz glänzendes Haar allmählich verbleichen. War das schon seit längerem so, und ich hatte mich einfach geweigert, es zu sehen? Und was meine Augen betraf, so sah ich nichts in ihnen. Ihre Farbe hatte einen unbestimmten Ton angenommen. Geheimnisvoll hatte Etienne sie einmal genannt. Deine Augen sind geheimnisvoll, Sidonie. Geheimnisvoll und, so wie du, unergründlich wie der Frühnebel.
    Bildete ich mir nur ein, dass er das gesagt hatte?
    » Und jetzt?«, sagte ich, und wieder hörte ich einen Laut hinter mir. Ich drehte mich um – Zinnober war mir gefolgt und stand in der Badezimmertür. Sie sah mich an, als wollte sie fragen: Warum setzt du dich nicht einfach hin? Dann kann ich endlich auf deinen Schoß springen.
    Ich begab mich zum Wohnzimmerfenster. Hinter der Glasscheibe lag nur die Dunkelheit, nichts als das leise, beharrliche Klopfen des Lindenzweigs war zu vernehmen. In dieser Nacht gemahnte mich das Klopfen nicht an einen Tanz, ein Gedanke, der mir früher einmal gekommen war. In dieser Nacht war es das Verticken der Zeit, ein knochiger Finger, der mir auf die Schulter pochte. Mit einem Mal hatte ich meine eigene Vorhersehbarkeit und den armseligen Kompass meines Lebens satt.
    Wieder bemerkte ich mein Spiegelbild, diesmal im Fensterglas, wo es sich schattig und vage abzeichnete wie mein eigener Geist.
    Ich ging zum Sofa, ergriff meine Handtasche, die ich tags zuvor dort hingelegt hatte, und nahm sie in die Küche mit. Die Sachen, die ich aus Etiennes Zimmer darin verstaut hatte, breitete ich auf dem Tisch aus: seine Brille, das Tablettenfläschchen und den Brief. Dann setzte ich mich davor und starrte die Sachen an. Ich las den Brief noch dreimal, obwohl es sinnlos war, kannte ich seinen Wortlaut inzwischen auswendig.
    Nachdem ich das Fläschchen mit den Tabletten nochmals betrachtet hatte, stand ich auf und ging zum Buchregal im Wohnzimmer, wo ich ein dickes Medizinhandbuch zwischen einem Wörterbuch und einem Atlas hervorzog. Ich ging damit in die Küche zurück und schlug das Register auf. Oxazolidin – da war es.
    Ich schlug die angegebene Seite auf und las den Eintrag: Es war ein Medikament für neurologische Erkrankungen und wurde sowohl zur Linderung von Epilepsie als auch Lähmungen verschrieben.
    Aber Etienne war doch kein Epileptiker, sagte ich mir. Nie hatte er in meiner Gegenwart einen epileptischen Anfall gehabt. Ebenso wenig wie Lähmungserscheinungen. Nur manchmal war mir aufgefallen, dass er ein wenig ungeschickt war, gegen ein Möbel stieß oder über den Rand eines Läufers stolperte. Ich erinnerte mich, wie er eines Abends, als ich ein Huhn zum Abendessen gekocht hatte, beim Zerteilen mit dem Messer plötzlich abgeglitten und es zur Seite geschnellt war. Etienne hatte es fallen lassen und es angestarrt wie ein unbekanntes Objekt, dann hatte er sich von mir abgewandt, war zum Spülbecken gegangen und hatte sich die Hände gewaschen, wieder und wieder. Damals hatte ich mir nichts dabei gedacht, doch jetzt fiel mir ein, wie diese scheinbar kleinen, bedeutungslosen Zwischenfälle ihn irritiert, ja wütend gemacht hatten, etwas, was ich gar nicht an ihm kannte. Er hatte etwas Unverständliches gemurmelt und weder auf meine

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