Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
geistiges Auge, seine Pfeife zwischen den Lippen. Ich dachte an meine Mutter, wie sie in der Küche an ihrer Nähmaschine saß. Und ich dachte daran, wie Etienne von unserem Kind gesprochen hatte.
Ich zog die Plane wieder über den Wagen.
Dann ging ich zu Fuß den weiten Weg zum Teich, um ein letztes Mal den Blick über das Wasser schweifen zu lassen. Es war die erste Märzwoche, ein warmer Tag, und ein stetes Tropfen war zu hören. In der Mitte des Teichs taute das Eis, und an den Rändern war es bereits geschmolzen. Ein sanfter Wind kräuselte das Wasser, und die zarten Ringe leckten anmutig am Strand. Das Wasser glänzte im späten Nachmittagslicht, und es roch nach Frühling, frisch und einen neuen Anfang verheißend.
Ich legte die Hand auf den Bauch und spürte die leichte Wölbung.
SECHZEHN
D a das Schiff nach Tanger erst am nächsten Nachmittag auslief, musste ich in Marseille übernachten. Nach der einwöchigen Schiffsreise war ich seltsamerweise müde und erschöpft, obwohl ich mich, abgesehen von den Spaziergängen an Deck, die ich zweimal täglich unternahm, meistens auf der schmalen Koje ausgeruht hatte.
Während meine Koffer in ein Taxi geladen wurden, blickte ich teilnahmslos auf den Hafen. Dann ließ ich mich zu dem Hotel fahren, das mir jemand an Bord des Schiffes empfohlen hatte.
Dort angekommen, fragte mich die Concierge nach meinem Namen, und ich zögerte, ehe ich sagte: » Madame Duverger.« Der Name war mir einfach entschlüpft, obwohl keine Notwendigkeit bestand, mich unter einem anderen Namen auszugeben.
» Wie viele Tage bleiben Sie?«
» Nur für eine Nacht. Ich nehme morgen das Schiff nach Tanger.« Mir war auch nicht klar, warum ich mich bemüßigt fühlte, vor dieser ernst blickenden, unfreundlichen Frau irgendwelche Erklärungen abzugeben. Das Namensschild an ihrer Bluse wies sie als Madame Buisson aus. Sie streckte die Hand aus.
» Wollen Sie, dass ich im Voraus bezahle?«
Sie schüttelte den Kopf. » Ihren Pass bitte, Madame. Wir behalten ihn bis zu Ihrer Abreise.«
Ich schluckte. » Aber das ist doch bestimmt nicht nötig.«
» Doch, es ist nötig.« Ihre Hand war noch immer ausgestreckt. » Ihren Pass«, wiederholte sie.
Ich öffnete meine Handtasche, fischte das mit rotem Einband bezogene Dokument heraus und reichte es ihr. Sie schlug es auf und besah sich mein Passbild. Während sie dann meine Daten überflog, veränderte sich ihre Miene kaum merklich. Sidonie O’Shea, stand dort. Geboren: 1. Januar 1900 in Albany, New York. Ehestand: ledig.
Auch wenn sie kein Englisch verstand, musste sie merken, dass ich ihr einen anderen Namen genannt hatte als den, der in meinem Pass stand. Und ich war keine Madame.
Sie sagte nichts, sondern drehte sich um und ging mit meinem Pass in das kleine Zimmer hinter dem Empfangstresen. Kurz darauf kam sie zurück und reichte mir einen großen Metallschlüssel mit einem Lederriemen. » Zimmer Nr. 267, Madame«, sagte sie, und ich nahm dankbar zur Kenntnis, dass sie das letzte Wort ohne Sarkasmus sprach. » Der Junge wird gleich Ihr Gepäck nach oben bringen.«
» Merci.« Ich nahm einen tiefen Atemzug und stieg die Holztreppe in den ersten Stock empor.
Das Zimmer war klein, aber sauber und verfügte über den Luxus eines angrenzenden salle de bains. Ich setzte mich auf den Bettrand und wartete auf meine Koffer, um mein Nachthemd anziehen zu können.
Mir war nicht danach, mir Marseille näher anzuschauen. Die Hafenanlagen waren nicht besonders einladend gewesen, überall stapelten sich Kisten mit Schiffslieferungen und lungerten dunkelhäutige Männer herum, die einen mit verschleiertem Blick beobachteten. Auf der Fahrt ins Hotel hatte ich unzählige verwahrloste Kinder gesehen sowie heruntergekommene, verfallene Wohnblocks, kaum mehr als Ruinen.
Die Stadt kam mir fremd vor, aber mir ging durch den Kopf, welches Band mich mit diesem Land verband: Die Familie meiner Mutter stammte ursprünglich aus Frankreich, also hatte ich französisches Blut in meinen Adern. Und der Vater meines ungeborenen Kindes war ebenfalls Franzose. Also würde unser Kind zu drei Vierteln französisch sein.
Kaum standen meine Koffer in der Nähe des Schranks, öffnete ich einen und zog ein Nachthemd heraus. Es war erst sieben Uhr abends, aber mein Rücken tat weh. Ich sehnte mich nach einer Wärmflasche. Mit einem erleichterten Seufzer ließ ich mich auf das Bett sinken und schlief trotz der Rückenschmerzen augenblicklich ein.
Mitten in der Nacht wachte ich
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