Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Wenn er nicht aus freien Stücken bei dir bleiben will, so macht es keinen Sinn, ihm bis auf die andere Seite der Welt zu folgen.« Ihre Stimme klang ungewohnt tadelnd und war eine Nuance lauter als sonst. » Wäre es nicht besser, ihn ziehen zu lassen und dein Leben weiterzuleben? Glaub mir, man kann einen Mann nicht umstimmen, wenn er sich einmal zu etwas entschlossen hat. Ich weiß das.«
» Aber es ist ihm etwas zugestoßen, Mrs Barlow. Ich muss ihm sagen, dass … Ich muss …« Wieder brach ich den begonnenen Satz ab. » Ich muss einfach mit ihm reden, Mrs Barlow.«
» Was ist ihm denn zugestoßen?«
Ich strich eine Haarsträhne zurück. » Es gab einen Notfall. In seiner Familie.«
» Aber warum hast du denn nicht mit ihm gesprochen, als er noch hier war? Oder warum rufst du ihn nicht an? Dort, wo er wohnt, wird es doch sicherlich auch Telefone geben, nicht wahr? Ich verstehe nicht, Sidonie.«
Natürlich, wie sollte sie es auch verstehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Mrs Barlow je ähnlich für ihren Mann empfunden hatte wie ich für Etienne. Und wenn, dann war es so lange her, dass sie sich nicht mehr daran erinnerte.
» Mrs Barlow, bitte, diese Reise muss einfach sein.«
» Fährst du nach Frankreich?«
Ich nickte. Es war ja nicht ganz gelogen: Marseille war eine Etappe meiner Reise. Ich durfte keinesfalls zu viel verraten. Wenn ich ihr erzählte, dass mein eigentliches Ziel Marokko sei, würde sie weitere Fragen stellen. Dann müsste ich ihr von dem Brief erzählen, den Etienne von einer Frau namens Manon erhalten hatte.
Plötzlich zitterten mir die Lippen und das Kinn. Ich bedeckte mit der Hand den Mund und drehte mich zur Seite.
» Im Übrigen solltest du an deine Umstände denken.«
Ich sah sie wieder an.
Sie nickte, und ihr Blick glitt zu meinem Bauch.
Ich ließ die Hand wieder sinken. » Woher wissen Sie es?«
Sie legte den Kopf schief. » Eine Frau sieht gewisse Anzeichen, wenn sie Augen im Kopf hat. Und ich nehme mal an, dass es bald offensichtlich sein wird. Wie stellst du dir also deine Reise vor, als alleinstehende Frau ohne Ehering, aber mit einem dicken Bauch, den sie wie eine Fahne vor sich herträgt? Sodass jeder sieht, was für eine Sorte Frau sie ist?«
Mrs Barlow hatte nie zuvor so mit mir gesprochen. Ich räusperte mich. » Es ist mir egal, was die Leute von mir denken. Das wissen Sie. Es war mir schon immer egal.«
Sie senkte kaum merklich die Augenlider. » Vielleicht wäre es aber besser gewesen, du hättest dir etwas daraus gemacht, Sidonie. Vielleicht befändest du dich dann nicht in der Situation, in der du dich jetzt befindest. Ach, wenn deine Mutter sehen könnte, wie du einen Mann ins Haus lässt und …«
» Es hilft jetzt auch nichts mehr, wenn Sie mich beschimpfen, Mrs Barlow«, sagte ich, ebenso laut und im gleichen barschen Ton wie sie. » Meine Mutter ist schon lange tot. Außerdem geht es Sie nichts an.«
Mrs Barlow wich zurück, als hätte ich sie geohrfeigt, und mir war klar, dass ich sie verletzt hatte. Aber ich war wütend auf sie, weil sie meinen wunden Punkt getroffen hatte.
» Es tut mir leid, Mrs Barlow«, beeilte ich mich zu sagen. » Sie waren immer so gut zu uns. Vor allem zu mir.« Ich verscheuchte den Gedanken, dass ich seit Monaten keine Miete mehr bezahlt hatte, seit Mr Barlow es mir nach dem Tod meines Vaters angeboten hatte. Ich wusste nicht, ob seine Frau darüber im Bilde war. » Es ist einfach so, dass ich … ihn liebe. Ich liebe ihn, Mrs Barlow. Und er liebt mich auch. Das weiß ich.«
Mrs Barlow zog mich in ihre Arme. » Es ist immer das Gleiche: Sie geben vor, dass man ihnen wirklich etwas bedeutet, wenn sie etwas von einem wollen, Sidonie.« Sie seufzte, und ich lehnte mich an sie. » Du weißt so wenig von der Welt, mein Mädchen. Und den Männern«, fügte sie hinzu. » Ich habe den Schlamassel von Anfang an kommen sehen. Ich habe es gesehen, Sidonie, aber du hast ja so sehr um deinen Vater getrauert, dass ich dachte, ach Nora, lass das arme Mädchen doch ein wenig Spaß haben.«
Sie machte sich von mir los. » Aber es gibt kein Vergnügen ohne Schmerz, Sidonie. Darauf kannst du dich verlassen wie auf das Amen in der Kirche.«
Am Tag bevor ich mein Zuhause verließ, suchte ich den Schuppen auf. Der alte Model T stand noch immer dort, von einer dicken Plane bedeckt. Ich zog sie weg und fuhr mit der Hand über die Motorhaube, stieg aber nicht ein. Ich rief mir das Bild meines Vaters hinter dem Lenkrad vor mein
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