Der Duft von Tee
bin ein wenig nervös. Ich schlucke meine Angst hinunter und nicke. Rilla legt Gigis Tochter in meine Arme. Ein fest gewickeltes Bündel in meiner Armbeuge. Der Musselin ist weich, und sie ist so leicht. Elektrisch aufgeladene, dunkle Haarbüschel stehen von ihrem Kopf ab, als ob sie ihren kleinen Finger gerade in die Steckdose gesteckt hätte. Obwohl ihr Weinen jetzt leiser ist, quengelt sie noch, die Augen fest geschlossen. Sie ist so winzig, ihre Nase hat die Größe eines Pennys. Ich merke, wie ich wie gebannt ihr kleines, frustriertes Gesicht anstarre, und mir rutscht das Herz in die Hose. Ihre Finger greifen in die Luft, während sie jammert, und ich wiege sie sanft.
»Ssst, ssst, ssst«, flüstere ich in ihre kleine Ohrmuschel.
Rilla überreicht Gigi ihr Geschenk, flüstert ihr zu, dass sie die Schuhe selbst gestrickt hat. Sie strahlt vor Stolz, als Gigi sich mit einem Kuss auf die Wange bei ihr bedankt. »Danke, Rilla.«
»War mir ein Vergnügen, Mama Gi.«
Pete hat einen Finger in die Hand des Babys geschoben, und trotz ihrer Verstimmung greift sie danach. Er hält ihn hoch und lächelt mich unsicher und schüchtern an. Ich küsse ihn auf den Scheitel und bemerke, wie Gigi uns beobachtet.
»Soll ich die Torte holen?«, fragt Pete.
»Ja, bitte.«
Ich möchte das Baby nicht aus der Hand geben. Es riecht süß und sauber wie frische Laken oder die Luft nach einem Regen. Als Pete die Torte an den Tisch bringt, beobachte ich Gigis Gesicht. Sie wirft einen schnellen Blick darauf, sieht noch einmal hin, dann werden ihre Augen ganz groß, und ihre Gesichtszüge entspannen sich. Yok Lan blickt ebenfalls auf, sieht aber nicht die Torte, sondern Gigi an. Mit diesem überraschten Gesichtsausdruck und ohne Make-up wirkt sie wie eine ganz normale junge Frau. Yok Lan schaut mich kurz an, als wollte sie etwas sagen. Dann wandern ihre Augen zu dem Baby, das in meinen Armen langsam immer schwerer wird.
»Oh«, haucht Gigi, als würde sie gleich anfangen zu weinen.
»Das ist Orangenbiskuit«, erkläre ich der Gruppe um den Tisch.
Don pfeift beeindruckt. »Wunderschön«, sagt er.
»Großartig, Liebes«, sagt Marjory.
»Wunderschön, Grace«, meint Rilla.
Pete lächelt stolz.
Gigi sieht mich an, dann wieder die Torte. »Darf ich sie anschneiden?«, fragt sie.
»Natürlich. Sie ist schließlich für dich. Für dich und …« Das Baby, um das es geht, blinzelt mich an. Seine Augen sind dunkel und neugierig. Es sieht zu mir auf, und ich sehe es an. Es stößt einen traurigen, schläfrigen Luftschwall aus, bevor es seine Wange gegen meine Brust legt. »Wie heißt sie denn eigentlich?«
Gigi blickt von der Torte auf; sie hat das Messer in der Hand, ihre Augen sind glasig und erschöpft. Ich meine, Tränen darin glänzen zu sehen, doch als sie blinzelt, sind sie plötzlich verschwunden wie eine optische Täuschung. Sie sieht zwischen Pete und mir hin und her, dann wieder auf das Messer in ihrer Hand und die Torte. »Faith. Sie heißt Faith.«
Faith. Ihr Gesicht ist jetzt ruhig und friedlich; die Haut glatt und weich. Wenn sie leise atmet, gleicht ihr Mund einem kleinen, blassrosa Stück Konfekt mit einer feuchten Mitte. Gigi und Rilla schneiden die Torte gemeinsam an, Gigi hat das Macaron von der Spitze in der Hand. Yok Lan kämpft sich aus ihrem Stuhl hoch, stützt sich schwer auf ihren Stock. Sie kommt herübergehumpelt und lässt sich mit einem leisen Stöhnen auf einen Stuhl neben meinem sinken. Ihr Blick ist noch immer auf das Baby gerichtet, doch sie legt mir die Hand auf den Arm. Sie ist kühl, aber weich, die Haut pergamentartig wie Blätterteig; durch die Altersflecken und Falten sehe ich die dicken, dunklen Venen pulsieren. Pete stellt sich hinter uns, sein Atem ist warm auf meinem Kopf. Er sieht in Faiths Gesicht und seufzt, als hätte er diesen Atemzug seit Wochen, vielleicht seit Jahren zurückgehalten.
Yok Lan sagt etwas auf Kantonesisch und tätschelt meinen Arm. Dann beugt sie sich vor, um Faith mit der Innenseite ihres Zeigefingers über die Stirn zu streichen. Sie sieht mir erneut ins Gesicht und lächelt einfühlsam. In diesem Moment sehe ich, dass ihre und Faiths Augen genau die gleiche Farbe haben; wie Oolong-Tee, ein klares, dunkles Bernstein. Die Farbe von Tee.
Liebste Mama,
es bricht mir das Herz, dass Pete niemals Vater werden wird. Er wäre ein guter Vater, Mama.
So lange habe ich nicht gemerkt, dass in meinem Leben ein Mann gefehlt hat. Ich habe dich geliebt und du hast mich geliebt und
Weitere Kostenlose Bücher