Der Duft von Tee
wir waren ein Team, wie Batman und Robin. Wir konnten alles alleine machen, nicht wahr? Wir konnten festsitzende Konservendeckel öffnen oder den Abfluss eines verstopften Waschbeckens reinigen. Wir hatten kein Auto, sodass wir nie einen Reifen wechseln mussten, und wenn ich etwas aus den obersten Reihen des Küchenregals wollte, durfte ich auf die Arbeitsfläche klettern. Wir haben alles erreicht und bekamen alles hin, nicht wahr, Mama?
Aber ich habe mir immer ein Haustier gewünscht. Ein Kätzchen oder einen kleinen Hund. Erinnerst du dich, wie ich dich angebettelt habe? Erinnerst du dich, was du mir gewöhnlich gesagt hast?
»Ach, Gracie, ein Kind ist mehr als genug für eine Mutter, mehr als genug.«
Du hattest recht.
Doch was ich noch mehr wollte als ein Haustier war ein Vater. Das konnte ich dir nur nicht sagen. Danach konnte ich nicht fragen.
Noch mehr zu wollen, einen Vater zu wollen, hat sich wie Verrat angefühlt. Du hast nicht gewusst, wie viele Gedanken ich mir um ihn gemacht habe, wie sehr ich mich nach der Wahrheit gesehnt habe. War er groß? Wie hat er seinen Tee getrunken? Du hast mich so sehr geliebt, dass es uns manchmal beide erschöpft hat. Da konnte ich dir unmöglich das Gefühl geben, dass mir das zu wenig war. Ich weiß, dass du versucht hast, das zu ersetzen, was mir gefehlt hat – deshalb haben wir in diesem Sommer die Fähre über den Kanal nach Paris genommen und ich habe den salzigen Wind in meinen Haaren gespürt. Du hast gesagt: »Ist das nicht himmlisch?«, und meine kalte Hand in deine warme genommen. Wir sind zusammen zu Rockkonzerten und Fußballspielen gegangen, du hast mir beigebracht, wie man Fahrrad fährt und dass Schinkensandwiches gegen einen Kater helfen. Ich weiß, dass du dein Bestes getan hast.
Alle Familien sind verschieden, nicht? Heute habe ich unsere seltsame kleine Gruppe studiert. Sie alle haben Familien, die wiederum andere Familien haben – Rilla sogar eine ganze Sippschaft: Kusinen, Freunde, andere Philippiner. Dann sind da Marjory und Don, Pete und ich. Pete wird niemals Vater werden, ich werde nie Mama sein, aber wir haben einander, und dafür bin ich jetzt dankbar. Ich glaube, Gigi ist sehr erschöpft, weil sie sich ganz alleine um ein kleines Kind kümmern muss, ohne einen Partner. Sie hat so einen leeren Blick. Wer weiß, wo Faiths Vater steckt? Und Yok Lan sieht uns alle an und versteht nicht ein Wort, ist aber zufrieden wie eine Katze in der Sonne. Was sind wir doch für eine seltsame kleine Sippe.
Ich wünschte, du wärst hier, um ein Teil davon zu sein.
Deine dich liebende Tochter
Grace
Am nächsten Samstag liege ich tief schlafend im Bett, als ich irgendetwas klingeln höre. Widerwillig öffne ich die Augen.
»Gracie, Liebling? Aufwachen«, sagt Pete mit sanfter Stimme.
»Was …?«
»Dein Handy.«
Ich greife danach. Pete sitzt im Bett und reibt sich mit der Rückseite seiner freien Hand die Augen.
»Hallo?«
» Wai? «, ist das einzige Wort, das ich verstehe, dann folgt ein Schwall auf Kantonesisch. Am anderen Ende der Leitung ist eine Frau, so viel bekomme ich mit, doch sie spricht so schnell, dass ich nicht ein Wort verstehe. Ich bin jetzt ganz wach, drücke das Ohr fest an das Telefon, als könnte ich dadurch mehr begreifen.
»Moment, Moment. Einen Moment bitte. Reden Sie langsam. Hä? Sorry, ich …«
Pete legt mir die Hand aufs Bein. »Wer ist das?«
»Sie spricht Kantonesisch. Ich verstehe rein gar nichts.«
»Vielleicht hat sich jemand verwählt.«
» Mm sik teng ah «, werfe ich in das Trommelfeuer aus Chinesisch, das durch die Leitung strömt. Ich benutze diesen Satz oft. Ich verstehe nicht, was Sie sagen. Oder, wörtlich: Ich weiß nicht, wie ich Sie hören soll.
»Da hat sich jemand verwählt, Grace«, wiederholt Pete.
Die Frau am anderen Ende macht endlich eine Pause. Im Hintergrund höre ich eine Sirene, wenn auch nur sehr schwach. Bis auf dieses Geräusch herrscht Stille in der Leitung. Sie sagt noch etwas, diesmal langsamer. Ich verstehe nur eins. Und zwar »Gigi«.
Pete zieht an meinem Schlafanzugtop, gibt mir zu verstehen, dass ich weiterschlafen soll. Er legt sich hin und zieht sich die Decke über die Schulter.
»Sorry, wie bitte? Was ist mit …« Ich habe mir den Finger ins andere Ohr gesteckt und versuche, mich zu konzentrieren.
Sie redet wieder, frustriert und seufzend, bevor sie auflegt. Ich nehme ein letztes Wort wahr – Kiang Wu –, dann ist die Leitung tot. Unsanfte Pieplaute drängen in mein
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