Der Duft von Tee
Ohr. Das Krankenhaus in Taipa. Ich schleudere die Decke von mir und krieche aus dem Bett. Pete rollt herüber, und ich sage ihm, was ich verstanden habe. Wir sind in drei Minuten angezogen und in sieben aus der Tür.
Prenez ce Baiser – Nimm diesen Kuss
Honigwabe mit einer Ganache aus Milchschokolade
Yok Lan wartet an der Rezeption auf uns. Ihr weiches Haar steht vom Kopf ab wie die zerzausten Federn eines kleinen Vogels. Sie steht auf, um uns zu begrüßen, sie wirkt unsicher auf den Beinen. Als sie lächelt, atme ich auf, ein ganz klein wenig erleichtert. Dann kann es nicht so schlimm sein. Sie stützt sich auf mich, als sie uns auf die Station führt. Sie spricht ernst mit uns, den Blick auf den Boden gerichtet, während sie jeden unserer Schritte genau beobachtet. Nicht zum ersten Mal wünschte ich, ich könnte verstehen, was sie sagt. Dann könnte sie mir erklären, warum wir um drei Uhr morgens ins Krankenhaus gefahren sind. Pete beugt sich zu ihr vor, doch er zuckt mit den Schultern; er versteht sie auch nicht.
Wir biegen um eine Ecke und betreten ein Krankenzimmer im Erdgeschoss. Von den vier Betten ist nur eines belegt. Ich rechne mit dem Schlimmsten, als Pete nach meiner Hand greift. Seine Augen ruhen auf der Frau in dem Bett und auf Yok Lan, die sich neben sie setzt. Ihre Arme sind nackt, die Handflächen zur Decke gerichtet. Medizinische Geräte und Apparaturen hängen an ihrem Körper; ihr schlaffer, schiefer Mund steht offen.
»Ist das Gigi?«, fragt Pete.
»Ja«, flüstere ich. Sie wirkt so klein in dem großen, weißen Bett. Ich sehe die kleine Erhebung ihres Bauchs, den letzten Hinweis auf ihre kürzliche Schwangerschaft. Sonst sieht sie aus wie eine Zwölfjährige, klein und verletzlich, ohne ihre übliche Widerborstigkeit und Energie. Yok Lan zieht an dem Laken, das in den Bettrahmen gesteckt ist. Pete tritt auf die andere Seite und hilft ihr, Gigi zuzudecken. Yok Lan lächelt ihn dankbar an, dann setzt sie sich wieder und starrt in das blasse Gesicht ihrer Enkelin. Pete lässt sich neben mir auf dem Nachbarbett nieder. Wir sehen die beiden an, und ich habe das Gefühl, in einem ausländischen Film ohne Untertitel gelandet zu sein. Es wie ein Traum, alles ist so verwirrend. Ich frage mich, wo Faith ist, erinnere mich an ihren süßen Geruch.
»Was ist passiert?«, flüstert Pete.
»Keine Ahnung.«
Ein paar Minuten später betritt eine Frau mit großen Schritten das Krankenzimmer. Sie muss Ende vierzig sein, ist aber wie eine viel ältere Frau gekleidet. Sie hat das Haar aufgetürmt und mit Haarspray betoniert. Eine Designertasche schwingt auffällig an ihrem Handgelenk. Sie trägt einen Hosenanzug und Pumps mit halbhohen Absätzen. Und sie schiebt einen Kinderwagen vor sich her. Eine solche Erscheinung um drei Uhr morgens macht mich sprachlos.
Die Frau fängt bereits an zu reden, als sie erst halb im Zimmer ist. Selbst ohne zu wissen, was sie sagt, sind ihr Ärger und ihre Empörung unmissverständlich. Jedes Wort klingt abgehackt und scharf. Ihre Augen sind hart, als sie Yok Lan anschnauzt, die sich mühsam aufgerichtet hat. Pete und ich stehen ebenfalls auf; eine solche Frau duldet keinen Widerspruch.
Als die Tirade zu Ende ist, antwortet Yok Lan und zeigt auf Gigi. Die Frau verschränkt die Arme. Sie zuckt nicht gerade lässig mit den Schultern. Dann bemerkt sie uns, starrt erst mich und dann Pete an.
»Wer …?«, beginnt Pete.
Ein stetiger Strom auf Kantonesisch folgt, während sie auf uns, den Kinderwagen und dann auf Gigi zeigt. Schließlich sind beide Frauen still. Die Spannung ist mit Händen zu greifen, und nur das Surren der Maschinen und die leisen Schritte auf Gummisohlen aus dem Flur durchbrechen das peinliche Schweigen. Die Frau schiebt Yok Lan den Kinderwagen zu, rammt ihn fast gegen ihr Schienbein und wirft die Hände in die Luft. Sie macht noch eine letzte Bemerkung, wirkt dabei eiskalt, dann ist sie verschwunden. Das schnelle Klacken ihrer Schuhe auf dem Linoleum hallt den Flur entlang. Wir drehen uns zu Yok Lan um. Ihr eingefallenes Gesicht wirkt sehr müde.
»Mama«, erklärt Yok Lan und zeigt auf Gigi. Faith gibt aus dem Kinderwagen ein kräftiges Wimmern von sich.
Es wird eine lange Nacht. Als langsam die Sonne aufgeht, schläft Faith endlich ein. Im Kinderwagen haben wir Babynahrung gefunden, und irgendwie ist es Pete gelungen, einer vorbeikommenden Krankenschwester zu verstehen zu geben, was wir brauchen. Eine volle Flasche, ein Bäuerchen und eine
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