Der Duft von Tee
gewechselte Windel später haben wir Ruhe. Yok Lan setzt sich mit dem Rücken zur Wand. Pete und ich hören ihr beim Schnarchen zu. Obwohl ihr Kiefer schlaff herunterhängt, macht sie einen ziemlichen Lärm.
Pete lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, und ich schmiege mich an ihn, erleichtert, ihn an meiner Seite zu haben. Wir flüstern miteinander, während die drei schlafen.
»Glaubst du, sie hatte einen Unfall?«
»Ich weiß es nicht. Sie scheint nicht verletzt zu sein.«
Er schüttelt den Kopf.
»Sie war wütend.«
»Wer?«
»Ihre Mutter.«
»Ja. Das kannst du laut sagen.«
Ich erinnere mich an Mamas Wutanfälle. An die Anschuldigungen, die Drohungen. Doch bei Mama war immer Angst im Spiel. Bitte, verlass mich nicht, bitte, hab mich weiter lieb. Ihr Herz war so zerbrechlich und doch so groß. Ich wusste immer, dass sie mich liebt.
»Sie war so …«, Pete hält inne.
Ich denke an den kalten Ausdruck in den Augen der Frau, als sie Yok Lan den Kinderwagen hingeschoben hat. Die Gehässigkeit ihrer eigenen Mutter gegenüber, die Gigi nicht von der Seite gewichen ist. Und noch etwas anderes. Bitterkeit, Eifersucht …
»Hasserfüllt«, beende ich seinen Satz.
»Ich hoffe, es ist nichts Ernstes.« Er nickt zu Gigi hin.
»Ich auch.«
Ich sehe Faith an, die so still daliegt wie ein Engelchen auf einem Gemälde. Ich taste ihren Kopf nach der Stelle ab, wo die Schädeldecke noch weich ist, beobachte den kleinen Pulsschlag unter ihrem Haar. Mit Erleichterung bemerke ich, dass sie noch atmet. Aber sie braucht eine gesunde Mama.
Ich gähne und vergrabe das Gesicht in Petes Sweatshirt. Es riecht nach mexikanischem Essen, er hat es das letzte Mal wohl in einem Restaurant angehabt. Guacamole und heiße, fettige Tortillachips. Mein Körper schmerzt und schreit nach Schlaf, doch mein Magen beginnt in Erwartung des Frühstücks zu grummeln.
Als ich aufwache, steigt mir der Geruch nach Bleichmittel und Stahl in die Nase. Langsam erinnere ich mich, wo ich bin; mein Kopf ist schwer, und mein Körper fühlt sich an, als wäre er mit nassem Sand gefüllt. Ich sehe zu Gigi hinüber. Ihr Haar ist schweißnass, doch ihre Augen sind noch immer geschlossen. Pete wacht ebenfalls auf, als ein Arzt und zwei Krankenschwestern in das Zimmer kommen. Yok Lan und ich treten zur Seite.
Der Arzt untersucht Gigi, hört ihr junges Herz ab, drückt auf ihren weichen Bauch. Dr. Chang steht unter den chinesischen Buchstaben auf seinem glänzenden Namensschild. Der Arzt erteilt den Krankenschwestern kurze Anweisungen und richtet sich mit einem Stöhnen auf. Eine Krankenschwester schüttelt den Kopf, als sie uns ansieht, und schickt die andere Schwester aus dem Raum. Der Arzt sieht zu Faith hin, dann zu Pete und mir.
»Sind Sie Freunde, oder gehören Sie zur Familie?«, fragt er in perfektem, abgehacktem Englisch.
»Freunde«, antworte ich.
Pete nimmt meine Hand.
»Verstehe.« Der Arzt greift nach einem Klemmbrett am Ende des Betts.
»Dr. Chang? Entschuldigen Sie, aber was fehlt ihr?«
Er sieht nicht von seinen Notizen auf. »Darüber darf ich nur mit der Familie sprechen.«
Pete lässt meine Hand los und steht auf. »Wir sind gute Freunde. Wir waren die ganze Nacht hier.«
Der Arzt sieht erst uns, dann Yok Lan und schließlich den Kinderwagen an. »Ich darf Ihnen nichts sagen. Das sind die Vorschriften. Sie müssen die Großmutter fragen.«
Pete und ich sehen uns an. »Yok Lan hat uns hierhergerufen. Ich bin Gigis Chefin. Wir machen uns große Sorgen«, füge ich hinzu. »Das ist alles.«
Der Arzt ist mit seinen Notizen fertig und hängt das Klemmbrett ans Ende des Betts. Gigis Zehen gucken unter der Decke hervor. Die Nägel sind schwarz mit silbernem Glitzer darauf lackiert. Etwas widerwillig zieht er die Decke darüber und seufzt. »Drogen. Pillen. Mehr kann ich wirklich nicht sagen. Sie wird wieder gesund.«
Meine Augen müssen voller Fragen sein, da er die Stimme senkt. »Zhubai«, sagt er. »Wilde Partys jenseits der Grenze. Die jungen Leute bringen sich ständig in Schwierigkeiten.«
Pete schüttelt den Kopf. »Aber wie …«
»Sorry, mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Sie müssen die Familie fragen.« Er verlässt den Raum.
Faith scheint die Spannung zu spüren; sie wacht auf und beginnt zu quengeln. Ich hebe sie aus dem Kinderwagen. Die Krankenschwester kommt mit einem Tuch in der Hand zu mir und legt es mir über die Schulter. Ich klopfe Faith zwischen ihren kleinen Schulterblättern auf den Rücken, genau da, wo ihre
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