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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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hat.
    Irgendwo in meinem Inneren höre ich Mamas lachende Stimme: »Oh, Gracie, du brauchst mehr Mut. Sei doch etwas dreister, so wie deine Mutter.«
    Diese Dreistigkeit hat uns immer wieder in Schwierigkeiten gebracht, sie und mich. Diese Dreistigkeit hat uns unsere Sachen packen lassen, um nach Paris zu fahren und dort unser Glück zu suchen, oder uns mitternächtliche Picknicks in den Kensington Gardens machen lassen. Je weniger ich davon habe, desto besser. So habe ich zumindest bisher immer gedacht. Auf dem Heimweg kaue ich auf der Innenseite meiner Lippe herum. Ich wünschte, meine Wangen wären jetzt nicht ebenso rot wie meine Haare.
    »Es wird nicht lange dauern.«
    In seiner Stimme schwingt ein kaum wahrnehmbares Flehen mit, als er ein frisches Hemd auf das Bett legt. Ich sehe von meinem Buch auf.
    »Es ist dienstlich. Es würde seltsam aussehen, wenn ich alleine käme.«
    Wieder einmal , füge ich in Gedanken hinzu.
    »Sie möchten dich kennenlernen, Grace.«
    Arbeitslos, unfruchtbar, Kellnerin – Ehefrau. Ja, das wollen sie ganz bestimmt.»Ich weiß nicht so recht«, sagte ich. »Ich habe nichts anzuziehen.« Das stimmt zumindest teilweise. Ich kaufe mir keine Kleider, um auf Cocktailpartys zu gehen, vielleicht absichtlich nicht.
    Er nimmt ein schwarzes Kleid aus dem Schrank und fährt mit der Hand an der Seite hinunter, wo mein Oberschenkel wäre, hätte ich es bereits an. Ich habe es seit vorletztem Weihnachten nicht mehr getragen; ich weiß nicht einmal, ob es überhaupt noch passt.
    »Was ist damit?«
    Ich wende mich wieder meinem Buch zu und zucke mit den Schultern, doch ich spüre, dass er mich ansieht.
    Als er ins Bad geht, stehe ich auf und berühre das Kleid, das neben seinem Hemd auf dem Bett liegt. Es fühlt sich kühl an und glänzt wie feuchtes Seehundfell. Ich ziehe meine Sachen aus und schlüpfe hinein. Es passt noch. Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar und denke wieder an Mama. Ja, sie hatte ein paar wirklich schöne Kleider. Ihr Schrank war immer mit einem leuchtenden Regenbogen aus Seide und Satin gefüllt. Ich ziehe Schwarz und neutrale Farben vor; Schwarz passt immer. Ich atme tief durch.
    »Ich komme mit«, sage ich laut. Nicht laut genug, dass Pete es über das rauschende Wasser der Dusche hinweg hören könnte, aber laut genug, meinen Entschluss vor mir selbst zu bekräftigen.
    Ich verstecke mich in einer von Kerzen beleuchteten Ecke, so weit wie möglich vom DJ, der Bar und der Menge entfernt. Über einige Köpfe hinweg sehe ich Pete, eine kleine Gruppe hat sich um ihn gebildet. Köpfe werden lachend zurückgeworfen oder beugen sich interessiert vor, wenn er leise eine Geschichte zum Besten gibt. Sooft der Kellner mit dem Käsetablett vorbeikommt, nehme ich mir zwei oder drei Kräcker auf einmal. Ich lächle ihn höflich an und hoffe, dass er versteht, dass ich früher auch einmal diesen Job gemacht habe und weiß, dass ihm die Füße so wehtun, als würde man ihm Nadeln in die Fersen bohren. Der teure Käse ist salzig und weich auf den krossen Kräckern. Plötzlich fällt mir auf, wie hungrig ich bin und wie wenig ich in den vergangenen Wochen gegessen habe. Vielleicht spürt der Kellner das auch; er steuert jedes Mal auf mich zu, wenn er mit einer neuen Platte aus der Küche kommt. Ziegenkäse, Blauschimmel, Brie. Der volle, cremige Geschmack in meinem Mund tröstet mich. Zum Glück werde ich in dieser Ecke des Raums kaum beachtet, deshalb bemerkt auch niemand meine Schlemmerei. Alle sind viel zu sehr darauf konzentriert, die richtigen Dinge zu sagen, im richtigen Moment zu lachen oder breit zu lächeln, um zu zeigen, wie interessant sie das alles finden. Diese banalen Szenen wiederholen sich überall im Raum.
    Eine schlanke Chinesin mit einem sanften Gesicht löst sich aus dem Kreis um Pete und gleitet auf mich zu. Mein Magen krampft sich zusammen, als ich mir die Krümel vom Kleid wische. Ich drehe mich von ihr weg und schaue so unbekümmert wie möglich aus dem Fenster.
    »Grace? Grace, hallo, ich bin Celine. Ich habe gerade Ihren Mann Pete kennengelernt. Er hat mir gesagt, dass ich Sie hier irgendwo finden würde.« Eine schlanke Hand erscheint in meinem Blickfeld. Die Frau hat einen so beunruhigend schönen französischen Akzent, dass ich mich einfach umdrehen und sie ansehen muss. Der Klang ihrer Stimme versetzt mir einen kleinen Schock, als würde plötzlich die Erinnerung an etwas auftauchen, das sehr lange zurückliegt. Ich blinzele und weiß nicht, was ich sagen

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