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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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das macht dann genau zehn, Sir. Ich schüttele den Kopf und setze mich auf. Das Laken ist um meine Taille und die Pyjamahose um meine Beine gewickelt. Das Kissen liegt auf dem Boden, und meine Haare fühlen sich schwer und feucht an. Ich dampfe wie eine Straße im Sommer, heiß, heiß, heiß. Ich atme langsam aus, beruhige mein schnell schlagendes Herz. Die kühle Luft, die durch das geöffnete Fenster hereinströmt, liebkost meine Schläfen, als ich den Kopf zurück auf die Matratze fallen lasse. Hitzewallung. Das Wort bleibt mir in der trockenen Kehle stecken, als ich es vor mich hin flüstere. Mein Körper will mir wohl einen kleinen Vorgeschmack auf das geben, was mir bevorsteht.
    Es ist schon ein paar Tage her, seit ich die Wohnung nicht nur deshalb verlassen habe, um Mehl und Zucker und Glasur zu kaufen. Mir kommt die Idee, zum Gourmet-Supermarkt zu gehen, im Geiste laufe ich bereits durch die Gänge. Wir könnten heute Abend Antipasti essen, mit kaltem Wein in großen Gläsern. Ich werde geräucherten Lachs und Knochenschinken, Oliven und Käse kaufen. Vielleicht wird doch noch eine gute Hausfrau aus mir.
    Ich ziehe eine weite Hose an und werfe mir eins von Petes T-Shirts über. Unter dem durchdringenden Zitronenduft des Waschpulvers riecht es nach ihm. Ich binde mein Haar zu einem Pferdeschwanz und vermeide es, in den Spiegel zu sehen für den Fall, dass ich dann die Idee verwerfe und wieder zurück ins Bett krieche. Der Supermarkt liegt ein paar Häuserblocks entfernt. Bei dieser Hitze ist der Marsch dorthin nicht gerade angenehm. Als ich endlich da bin, habe ich einen leichten Schweißfilm auf der Haut, und meine Augen tränen von der Sonne. Warum nur habe ich keine Sonnenbrille aufgesetzt? Hier ist es nicht nur heller als in der Höhle meines Schlafzimmers, ich begegne auf dem Weg auch einem von Petes Kollegen, der mir von der anderen Straßenseite aus zuwinkt. Manchmal vergesse ich, wie klein Macao ist, alle Ausländer hocken praktisch aufeinander. Ich winke zurück und lächle höflich, erleichtert, dass er nicht über die Straße kommt, um mit mir zu reden, und betrete schnell den Supermarkt, wo die Klimaanlage den Schweiß auf meiner Haut kühlt.
    »Grace?«
    Ich schiele in Richtung der tiefen, sanften Stimme, meine Augen müssen sich erst an das trübe Licht gewöhnen. Ich kann nur erkennen, dass es ein großer Mann ist. Er kommt näher und lächelt.
    »Hallo? Ja, dachte ich mir doch, dass Sie das sind. Wie geht es Ihnen?«
    Es ist Léon.
    Obwohl ich sicher nicht besonders angenehm rieche, beugt er sich zu mir vor. Ich lächle, so gut ich kann. Er gibt mir einen flüchtigen Kuss auf jede Wange, weich wie eine Vogelfeder.
    »Hallo, Léon. Danke gut, und Ihnen?« Meine Stimme ist ein wenig zu hoch.
    » Bien, très bien , sehr gut. Ich habe Sie seit der Party nicht mehr gesehen. Was haben Sie denn so gemacht?«
    »Ach, dies und das. Nicht wirklich viel.« Mich versteckt, Winterschlaf gehalten, die Welt zum Teufel gewünscht. Er lächelt mich so warm an, als wären wir die besten Freunde, alte Kumpel. Ich würde am liebsten im Erdboden versinken und wünschte, er würde mich in Frieden lassen und sich um seine Besorgungen kümmern. Stattdessen fragt er mich, was ich einkaufen will, und bekommt ganz große Augen.
    »Antipasti? Eine großartige Idee! Darf ich Ihnen helfen?«
    »Ja, sicher.«
    »Ich habe ein paar Vorschläge«, sagt er bestimmt und greift nach meinem Ellenbogen.
    Er sucht mit mir nach dem Lachs und empfiehlt mir ein paar Käsesorten. Einen Kräuterziegenkäse kaufe ich nur deshalb, weil er so begeistert von ihm ist. Desgleichen ein Glas gefüllte grüne Oliven; sie sind zurzeit vielleicht nicht in, flüstert er mir verschwörerisch zu, aber sie sind nach wie vor die besten. Er geht in der von der Klimaanlage gekühlten Stille neben mir her und lässt seinen Blick über die Regale schweifen. Ich ertappe mich dabei, dass ich ihm Dinge über mich erzähle, die ich normalerweise niemandem anvertrauen würde. Ich, Grace Miller, plappere wie ein Schulmädchen. Er hat etwas an sich, das meine Zunge löst. Ich bin mir sicher, dass ich eine überraschte Miene mache, während ich rede; ich habe das Gefühl, jemand anderem zuzuhören. Ich erzähle ihm, wie ich mit Mama in Paris war. Von unseren spontanen Ferien. Den Cafés, dem Gebäck, den Tassen mit schwarzem Kaffee, für die ich wahrscheinlich noch viel zu jung war. Er hört mir zu und lächelt und füllt meinen Einkaufskorb. Er lacht laut, als ich

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