Der Duft von Tee
haben und in der du in diesem pfirsichfarbenen Kleid gesungen und getanzt hast. Wie du mich in dem Hotel um die Ecke allein gelassen hast, und erst am Morgen nach Hause gekommen bist.
So viele Geheimnisse, Mama, immer so viele Geheimnisse.
Deine dich liebende Tochter
Grace
La Poudre à Canon – Gunpowder
Grüner Gunpowder-Tee mit einer süßen Mandarinenbuttercreme
Pete hat viel zu tun. Er kommt erst spät nach Hause und hat dunkle Ringe unter den Augen. An mehreren Abenden schläft er auf der Couch vor dem Fernseher ein, sodass ich ihn wecken und ins Bett bringen muss. Ich habe keine Tabletten mehr, deshalb verbringe ich die meisten Nächte damit, ihm mit weit geöffneten Augen in der Dunkelheit beim Schlafen zuzuhören. Das sind die langen Nächte, in denen ich nicht aufhören kann, an Kinder zu denken. Wie sie hüpfend und tanzend von der Schule zum Mittagessen nach Hause kommen. An rosige Babys in meinen Armen. Den Geruch von frisch gewaschenem Haar. Wie es wäre, einem dieser Winzlinge die Brust zu geben. Dieser letzte Gedanke ist der schlimmste; er lässt mein Herz so schwer werden, als wäre es aus Flusssteinen. Ich weine im Badezimmer hinter verschlossener Tür, um Pete nicht zu wecken. Mein Verstand rast wie eine Katze, die hinter ihrem Schwanz her ist, unaufhörlich. Ich sehne mich nach Schlaf und kaue auf der Bettdecke herum, wie ich es als Kind getan habe. Wenn ich dann schließlich wegdämmere, verträume ich den Morgen, bis es bereits Mittag und der halbe Tag vorüber ist.
Am Nachmittag ist Backen das Einzige, das mich interessiert. Ich gehe meine Backbücher durch. Biskuit mit Sahnefüllung, Kuchen mit einer dicken Glasur, auf runden Tellern zu Pyramiden gestapelte Törtchen. Pete sagt nichts, obwohl er jeden Morgen die mit altbackenen Muffins und halb aufgegessenen Bananenkuchen gefüllten Abfalltüten hinausbringt. Das Einzige, was mich vom Kinderkriegen abzulenken vermag, sind die Erinnerungen an Paris. Eine graue Kälte, große Männer, schwarzer Kaffee, süßes Gebäck und Mama, die lacht, während ihr Haar und ihr Schal hinter ihr herflattern. Der Duft von Schokolade und Brot.
An einem warmen Donnerstagabend, kurz vor dem chinesischen Neujahr, gehen wir in die Old Taipa Tavern, ein bei den Ausländern sehr beliebtes Pub im englischen Stil, das an der Seite eines Dorfplatzes neben einem chinesischen Tempel liegt. Die Erwachsenen reden und trinken kaltes Bier aus Gläsern, an denen das Kondenswasser herunterläuft, während die Kinder mit ihren Fahrrädern auf dem Asphalt ihre Runden drehen. Die älteren Jungen kaufen Knallfrösche im Geschäft nebenan, kleine Papierpäckchen mit Dynamit oder Schießpulver oder sonst irgendetwas Explosivem, die gut in eine kleine Faust passen und laut knallen, wenn sie auf den Boden geworfen werden. Sie legen sie so auf den Boden, dass die Jüngeren darüberfahren. Wenn sie explodieren, werden sie kreidebleich und brechen in Tränen aus.
Pete und ich sitzen im Freien, obwohl die Sonne bereits untergeht, und ich bestelle meine üblichen Würstchen mit Kartoffelbrei. Pete kaut auf seiner Unterlippe herum und kann sich nicht entscheiden. Sein Gesicht ist finster und verschlossen, als er schließlich seine Bestellung aufgibt. Einen Burger.
»Ist alles okay?«, frage ich, als unsere Bedienung uns den Rücken zukehrt und sich einem Tisch mit ein paar lauten Australiern zuwendet, die nach einer weiteren Runde Bier verlangen.
»Ja, alles okay.« Pete trinkt einen großen Schluck Bier.
Ich beobachte einen kleinen Mann in einer durchhängenden Hose, der die großen, roten Türen des chinesischen Tempels abschließt. Sein Gesicht ist faltig und ernst, ein einzelnes langes Haar sprießt aus einem dunklen Leberfleck auf seinem Kinn. Er bemerkt, dass ich ihn beobachte, und blinzelt wie eine Katze. Dann springt er auf ein Fahrrad und fährt weg.
»In der Arbeit herrscht das reinste Chaos.«
Ich wende mich wieder Pete zu. Er zupft an dem Etikett seiner Flasche herum.
»Die Bauarbeiten laufen beschissen. Alles muss zweimal gemacht werden. Ich unterzeichne hier Sachen, die ich zu Hause nie gutheißen würde. Aber wir haben Deadlines, da kann ich nichts machen.«
Pete hat schon früher dabei geholfen, Kasinos aufzuziehen. Er hat sich nie vor einer beruflichen Herausforderung gedrückt. Im Gegenteil, er scheint das sogar zu genießen. Deshalb waren wir überhaupt in London, bevor wir nach Macao gezogen sind. Gut, deshalb und aufgrund der unausgegorenen Idee, dass mich
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