Der Duft von Tee
entlangkommen sehe, direkt auf das Café zu. Junge Männer kommen nicht allein in ein Café, das ist hier einfach so, deshalb richte ich mich halb auf und warte ab. Er lächelt mich schüchtern an und winkt. Instinktiv drehe ich mich zur Wand hinter mir um, dann sehe ich ihn wieder an. Er trägt lange Shorts und ein langärmliges, weißes T-Shirt, das locker bis auf die Oberschenkel fällt. Seine Schultern sind vornübergebeugt, die Finger der einen Hand umklammern einen Ärmel. Sein Haar ist dick und dunkel, glänzend und stumpf über den Ohren abgeschnitten. Dann bleibt er stehen und klopft fest gegen das Fenster. Er lächelt mich erneut an. Er hat ein schönes Gesicht.
»Sorry«, sage ich, während ich den Kopf schüttele. Ich zeige auf das Geschlossen-Schild an der Tür und lächle ihn entschuldigend an.
Er schaut mich sichtlich verwirrt an und sagt etwas, das ich durch die Scheibe nicht verstehen kann.
Ich schüttle erneut den Kopf. Er hält ein paar Bögen Papier hoch, die wie ein offizielles Dokument aussehen. Ich schüttele den Kopf noch heftiger und hebe die Hand. Ich hasse es, wenn mir jemand etwas verkaufen will, da ich immer zu höflich bin, um Nein zu sagen.
»Nein, nein, nein. Wir haben geschlossen. Sorry.«
Er sieht noch verwirrter aus und lehnt sich in den Schlitz zwischen den geschlossenen Türen. Wieder sagt er etwas – auf Englisch. Es klingt wie »Sir«.
Ich gehe zur Tür.
»Ma’am?«, sagt er mit hoher Stimme. »Ma’am, Sir Léon schickt mich. Sie sind Ma’am … Grace?«
Als ich mich der Tür nähere, sehe ich seine Augen durch den engen Spalt. Sie sind von dicken, schwarzen Wimpern umrandet und erinnern an die eines kleinen Kindes. Seine Haut ist glatt und gerötet.
»Ja, ich bin Grace«, sage ich und öffne die Tür ein wenig.
»Sehr gut. Ich bin Rilla.«
Als er das sagt, höre ich, wie liebenswürdig seine Stimme klingt. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich bin eine Närrin. Zum ersten Mal an diesem Tag – vielleicht zum ersten Mal in dieser Woche – lache ich. Das Lachen kriecht in mir hoch, kitzelt in meiner Brust, und dann pruste ich los, laut und frei. Ich mache die Tür weit auf, damit sie hereinkommen kann.
Rilla tritt ein und steht mit geraden Schultern und hocherhobenem Kopf vor mir. Erst jetzt, als sie im Licht des Cafés steht, erkenne ich meinen Irrtum und lache so kräftig, dass sie vorsichtig einstimmt, obwohl sie nicht weiß, was hier so lustig ist. Ihre runden Augen sprühen vor Freundlichkeit. Ich bitte sie, Platz zu nehmen, und mache uns eine frische Kanne Tee. Noch immer kichernd gehe ich in die Küche und halte mir dabei die Hand vor den Mund. Als ich mit zwei Tassen zurückkomme, sitzt Rilla aufrecht da, ihr junges Gesicht wirkt fröhlich. Ihr Lebenslauf liegt auf dem Tisch zwischen uns.
»Tut mir leid«, sage ich und grinse sie an.
»Kein Problem«, antwortet sie. Sie sieht sich im Lillian’s um. »Ein wirklich schönes Café, Ma’am.«
»Danke, Rilla. Es hat einiges an Arbeit gekostet.«
»Oh, ja. Ich erinnere mich, dass das hier früher ein portugiesisches Café war. Schmutzig und voller alter Männer … Sie wissen schon …« Sie verzieht das Gesicht und führt zwei Finger zum Mund. Dann schaut sie mich schnell an und zieht die Hand zurück in ihren Ärmel.
»Sie haben geraucht?«
»Ja, ständig. Kein schöner Ort. Aber jetzt … ist es sehr schön«, murmelt sie.
Ich denke an den strengen, abgestandenen Geruch, der an jeder Fliese geklebt hat, an jeder Wand, an jedem Möbelstück. Sie hat wohl recht, ich habe tatsächlich das Gefühl, als hätte ich jede einzelne Rauchschwade von den Armaturen und den Böden geschrubbt.
»Jetzt ist es ein Nichtraucher-Café.«
»Wirklich, Ma’am?«, sagt sie und klingt überrascht. Fast in allen Restaurants und Cafés hier und mit Sicherheit in allen Kasinos ist Rauchen erlaubt. Die meisten Lokalitäten sind völlig verpestet.
»Ja. Hier wird nicht geraucht. Hier gibt es nur Macarons. Und Kaffee natürlich. Manchmal auch schreiende Babys und Kinder, da muss ich Sie gleich vorwarnen.«
»Das ist kein Problem«, sagt sie lässig. Sie nippt an ihrem Tee und lehnt sich auf dem Stuhl zurück. Jetzt sieht sie sich interessiert im Café um. Neugierig nimmt sie jede Lampe und jeden Tisch in Augenschein. Sie scheint sich hier wohlzufühlen. Sie wirkt fast glücklich.
»Sie haben etwas sehr Schönes daraus gemacht. Und es scheint hier sicher zu sein«, sagt sie leise, wie zu sich selbst.
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