Der Duft von Tee
Langes, weißes Kleid, goldene Sandalen.
»Ich habe alles von draußen gesehen. Ist alles in Ordnung?« Ihre Augen sind rund vor Besorgnis.
Es ist die Frau, die an meinem zweiten Tag vor der Tür stand, diesmal ohne Hund. Yok Lan blickt zu ihr auf und lächelt.
Sie greift nach ein paar Servietten und drückt sie in meinen Rücken.
»Was für ein schrecklicher Mensch«, murmelt sie, nimmt mir die Scherben aus der Hand und wirft sie in den Mülleimer neben der Espressomaschine. Sie sieht erst Yok Lan und dann wieder mich an.
»Möchten Sie einen Kaffee?«, frage ich erschöpft.
»Wie wäre es, wenn ich warte, bis Sie sauber gemacht haben und der Ansturm vorbei ist?«, fragt sie. Dann fügt sie freundlich hinzu, »Vielleicht können wir ja was zusammen trinken?«
»Okay.« Ich bin so müde, dass sich meine Zunge in meinem Mund dick und geschwollen anfühlt.
Eine halbe Stunde später lässt das Chaos nach. Der letzte Mittagsgast verabschiedet sich, die Sauerei ist aufgewischt, das Nachmittagslicht durchflutet bleich und still den Raum. Yok Lan sitzt vor dem Fenster, der Dampf aus ihrer Teetasse steigt bis zum Kragen ihrer Bluse auf. Sie schließt die Augen und lehnt sich mit einem Seufzen in ihrem Stuhl zurück. Die blonde Frau sieht mich über eine Illustrierte hinweg an. Ich mache ihr einen Cappuccino und mir eine Tasse Tee und häufe ein paar Macarons auf einen Teller. Zu dieser Tageszeit kriege ich sie ohnehin nicht mehr los.
»Entschuldigung für alles«, sage ich.
»Für was?«
»Für das ganze Chaos. Vielleicht ist das typisch britisch …« Ich lache leicht auf. »Aber ich bin nicht sonderlich gut, was Konfrontationen angeht, wie Sie sicher bemerkt haben.«
»Oh, das ist schon okay«, sagt sie verständnisvoll.
»Und ich bin so müde«, gestehe ich. Ich biete Yok Lan am Nachbartisch ein Macaron an, das sie freudig annimmt. Sie legt es vorsichtig auf den Rand ihres Tellers.
»Nun«, sagt die blonde Frau, »ich denke, dass das nicht nur eine britische Eigenschaft ist. Ich bin da auch ein hoffnungsloser Fall. Obwohl normalerweise ich für das Chaos verantwortlich bin.« Von den Winkeln ihrer braunen Augen gehen sternförmig feine Fältchen aus. Sie ist wohl doch älter, als ich gedacht habe, bestimmt in den Vierzigern. Sie sieht wie die Erwachsenenversion eines dieser selbstsicheren, coolen Mädchen aus der Schule aus. Trotzdem wirkt sie etwas unbeholfen. »Ich sage immer das Falsche«, erklärt sie mit einem Schulterzucken. »Ich bin übrigens Marjory.«
»Schön, Sie kennenzulernen, Marjory. Ich bin Grace.«
Ich habe meinen Tee erst halb ausgetrunken, als mein Telefon klingelt. Ich stehe auf und gehe ran. Pete braucht meine Reisepassnummer, um irgendwelche Papiere für die Behörden auszufüllen. Ich lese ihm die Zahlen vor, während Marjory zur Theke kommt. Schließlich lege ich auf und entschuldige mich erneut. Sie lächelt und legt etwas Geld auf die Kasse. Ich will ihr das Wechselgeld herausgeben, doch sie schüttelt nur den Kopf.
»Tschüss, bis morgen. Schade, dass ich nicht schon früher gekommen bin. Das Café ist großartig.« Sie lächelt mich schüchtern an.
»Danke«, sage ich.
»Passen Sie auf sich auf, Grace. Arbeiten Sie nicht zu viel«, sagt sie herzlich, dann ist sie aus der Tür.
Zu Hause sieht Pete mich nachdenklich an. Nachdem ich am Ende eines langen Tages im Lillian’s sauber gemacht und zugesperrt habe, bin ich nach Hause gegangen und habe mich auf das Sofa geworfen. Meine geschwollenen Füße baden in einem Waschkübel mit heißem Salzwasser. Er mustert mich von den Füßen bis zu den Haarspitzen, die da hochstehen, wo sie nicht hochstehen sollten. Dann schüttelt er langsam den Kopf und seufzt. Noch bevor er den Mund aufmacht, weiß ich, dass er mir schonungslos die Wahrheit sagen wird. So ist Pete nun mal.
»Grace«, beginnt er, »du brauchst Hilfe. Du musst jemanden einstellen.«
Stolz durchfährt mich wie ein Stromschlag. Schließlich rührt meine Erschöpfung daher, dass das Café langsam zu einem Erfolg wird. Hallo, diese kleine Kellnerin hier betreibt ein Café, denke ich trotzig und werfe ihm einen verstohlenen Blick zu.
Doch obwohl er recht hat, ist es eine seltsame Vorstellung. Ich bin es gewohnt, alles selber zu machen. Auf meine Weise. Ich sehe zur Decke oder vielleicht auch zum Himmel. Mama, liebste Mama. Ich bin so müde, jeder einzelne Muskel tut mir weh. Vor allem die, die meine Augenlider offen halten. Ich sehe wieder zu Pete hinüber, der mit vor
Weitere Kostenlose Bücher