Der Duft von Tee
verdammten Kraut nicht.« Ich halte ein schlaffes Blatt hoch, das ein verdächtiges dunkles Graugrün angenommen hat.
»Ja, mir geht’s ähnlich. Es ist einfach zu warm für diese riesige Kugel«, jammert sie, taucht den Finger in meine Ganache, verzieht angewidert das Gesicht und rümpft ihre schöne Nase. Okay, das wird sich wohl nicht verkaufen.
»Ich glaube, das können wir vergessen«, sage ich. »Was hältst du von einer Ganache aus dunklen Kirschen? Damit füllen wir die kleinen Yuzuschalen. Die Spezialität der Saison: ein Macaron de saison .« Ich befördere die scheußliche Basilikummischung in den Abfalleimer.
»Wie du meinst«, sagt sie lässig, aber ihre leuchtenden Augen verraten sie.
»Das ist der Enthusiasmus, den ich sehen will«, antworte ich lächelnd. »Wie sollen wir es nennen? Es muss etwas Französisches sein.«
Wir verfallen in nachdenkliches Schweigen. Draußen spielen die Zikaden ihre geräuschvolle Symphonie. Ich stelle sie mir vor, wie sie sich gegenseitig Lieder von alten Reifen, vergessenen Holzstapeln und weggeworfenen Nudelschalen aus Plastik entgegenschmettern.
»Irgendetwas mit Sommer …«, murmelt sie.
Nachdem ich mein abgenutztes, mit Mehl überzogenes Französischwörterbuch konsultiert habe, einigen wir uns auf Brise d’Été . Gigi bietet mir an, eine chinesische Übersetzung auf die Tafel mit den Tagesangeboten zu schreiben. Ich stelle mir vor, wie Yok Lan hereinkommt und die wunderschönen chinesischen Buchstaben liest. Ich frage mich, ob sie die Handschrift, die besondere Neigung der Schriftzeichen als die ihrer Enkelin erkennt. Wir treten einen Schritt zurück und sehen es uns gemeinsam an. Ich erhasche einen Blick auf Gigis Mundwinkel, die sich leicht nach oben biegen, während sie die Arme über dem großen Bauch verschränkt.
»Kann ich mal eins von den Dingern probieren, oder bin ich hier nur die Schreibsklavin?«, meint sie scherzhaft, ohne mich anzusehen.
»Ja, sicher. Aber zuerst musst du mir eine Tasse Tee machen. Teesklavin bist du nämlich auch, klar?«
Sie grinst auf ihre Füße hinunter.
Wir setzen uns an meinen Lieblingsecktisch, von wo aus ich sehen kann, wenn sich ein Kunde nähert, obwohl ich heute nicht mit einem großen Ansturm rechne. Marjory, die in dem gleichen Wohnblock lebt wie viele der ausländischen Mütter, hat mir erzählt, dass heute Sportfest in der School of Nations ist, sodass die meisten Eltern dort sein und ihre Kinder anfeuern werden. Es ist ein glühend heißer Tag, instinktiv denke ich an Sonnenbrand und Hitzschlag. Ich erinnere mich, wie Mama mich mit Zinkpaste eingeschmiert hat, dass ich aussah wie eine Indianerprinzessin in einem alten Western, wenn wir im Sommer nach Brighton gefahren sind.
Gigi setzt sich mir gegenüber und serviert mir eine Tasse Tee, bevor sie sich selbst eine eingießt. Ich bin älter als sie, deshalb bedient sie mich zuerst; sie macht das, ohne nachzudenken. Ich nippe an dem Tee. Black Ceylon mit Mandarinenschalen, einer meiner Lieblingstees. Gigi steckt sich ein ganzes Macaron in den Mund, schlägt die Zähne hinein und lehnt sich mit einem Seufzen auf ihrem Stuhl zurück.
»Oh, Mann …«, krächzt sie mit vollem Mund. » Brise d’Été … ja. Mein Gott. Das ist gut«, sagt sie, als sie es heruntergeschluckt hat.
Ich muss einfach lachen. »Auf das Brise d’Été . Und den Sommer.« Ich hebe meine Teetasse und sie ihre, um mit mir anzustoßen. Sie sieht heute glücklicher aus. Ein wenig entspannter, als wäre sie erleichtert, einfach nur in dem leeren Café zu sitzen.
Sie sieht mich an. »Grace, warum hast du keine Kinder?«
Die Frage bricht über mich herein wie die Kälte des Ozeans. Fast wäre ich zusammengezuckt. Meine Kehle schnürt sich zusammen, wenn ich an meine Trauer und das vertraute Gefühl eines schweren Herzens denke. Ich wünschte, sie hätte mir diese Frage nicht gestellt. Ich werfe einen flüchtigen Blick auf ihren Bauch und spüre das Wehklagen in meinem eigenen.
»Das ist kompliziert.«
Sie runzelt die Stirn, bohrt aber nichtsahnend nach. »Du wolltest keine, oder? Marjory hat auch nie welche gewollt, sagt sie. Sie binden einen an, nicht wahr?« Ihr Gesicht ist trotz des Make-ups weich und jugendlich. In ihren Augen, die rund wie die einer Eule sind, liegt ein Anflug von Angst.
»Nein, nein …«, seufze ich. »So ist das nicht. Wir wollten schon Kinder.«
Sie stellt ihre Tasse ab und sieht mich erneut an, neugierig. »Wann?«
»Wann wir welche wollten?«
»Ja, habt
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