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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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erneut zu Rilla hinunter. In meinem Kopf drängen sich tausend Fragen, tausend Gedanken. Was tut sie hier? Ist sie aus ihrer Pension geflogen? Warum hat sie mir nichts gesagt? Und wenn sie das schon nicht erzählt hat, was verschweigt sie mir dann sonst noch? Hat Linda doch recht? War ich zu vertrauensselig? Wie viele Wochen ist es her, dass ich am Ende des Tages das Geld gezählt habe? Ich habe es Rilla überlassen, abends die Kasse zu machen und unsere Einnahmen zur Bank zu bringen. Kann es sein, dass sie mich hintergangen hat? Oder das Lillian’s? Dass sie hier mit irgendeiner Rumtreiberin übernachtet? Wie kann sie es wagen? Im Lillian’s? Meinem Lillian’s?
    »Rilla!«, zische ich.
    Die beiden Frauen fahren erschrocken hoch. Rilla reißt die Augen auf und starrt ausdruckslos ins Licht.
    »Steh auf!«
    Rilla blinzelt benommen, während sie sich umsieht, um zu sehen, von wo die Stimme kommt. Dann erkennt sie den Schatten in der Tür und macht große Augen.
    »Wach auf.«
    Die Frau in ihren Armen versucht ihren Kopf an Rillas Schulter zu verbergen, verwirrt von dem Licht und meiner Stimme. Jocelyn. Jetzt erkenne ich sie, ihre kleine, gedrungene Gestalt, die am liebsten mit der Tapete verschmelzen, unsichtbar werden würde. Sie hat einen Bluterguss auf einer Wange und große, dunkle Augen, die Pupillen sind fast schwarz. Wer weiß, in was für Schwierigkeiten sie steckt? Jocelyn rollt sich auf dem Boden zu einem Ball zusammen und umarmt ihre zum Kinn hochgezogenen Knie, während Rilla aufspringt.
    »Grace, ich bin … wir sind …«, Rilla wringt die Hände.
    »Was zum Teufel macht ihr hier?« Meine Stimme ist lauter als beabsichtigt. Ich weiß nicht, was ich zuerst fragen soll. Ich bin verwirrt und fühle mich belogen und betrogen. Mit einem Mal steigt eine unkontrollierbare Wut in mir auf. Petes Geständnis macht mir noch immer schwer zu schaffen.
    »Ich kann das erklären … Es gibt einen guten Grund hierfür, das versichere ich dir. Es ist kompliziert …«
    »Verdammt, Rilla, du hast mir einen Riesenschreck eingejagt! Ich dachte schon, hier drin wäre ein Dieb.« Ich brülle fast.
    Ich sehe, wie sie verschämt zusammenzuckt und meinem Blick ausweicht.
    »Sieh mich an.«
    »Es tut mir leid, Grace. Wirklich, wir haben nur …« Sie sieht zu Jocelyn hinüber, die noch immer auf dem Boden kauert.
    »Ihr habt was? Gedacht, dass mein Lagerraum ein verdammtes Hotel ist?« Ich zittere. Ich habe das Gefühl, nicht mehr ich selbst zu sein.
    »Nein, nein … wir mussten nur irgendwo schlafen.« Noch immer weicht sie meinem Blick aus.
    »Seht mich an . Beide .«
    Rilla sieht auf, Jocelyn nicht. Sie wippt vor und zurück, ihr langes Haar fällt ihr über Gesicht und Schultern wie ein dunkler Vorhang. Rilla laufen Tränen über die Wangen. Sie presst die Lippen fest zusammen.
    »Nun, Rilla?«
    »Jocelyn …«, beginnt sie und sieht zu ihrer Freundin hinüber. »Bitte, Grace«, bettelt sie.
    Tränen quellen aus ihren Augen.
    Die unverarbeitete Wut in meiner Brust schlägt wie ein großes, dunkles Herz. Ich bin völlig aus der Fassung. Verletzt. Mein Kopf dreht sich. Erst Pete und jetzt Rilla. Habe ich nicht schon genug durchgemacht? Kann ich denn niemandem trauen? Es kommt mir vor, als wäre Mamas Hitze, ihre Wut in meinen Blutkreislauf eingedrungen. »Geht einfach. Beide. Sofort!« Wieder höre ich Mama. Komm nicht wieder! Ich balle die zitternden Fäuste.
    Rillas Gesicht verdüstert sich vor Angst. Jocelyn springt vom Boden auf. Sie stürzen an mir vorbei, und ich folge ihnen ins Café und sehe ihnen hinterher, als sie aus der Tür stürmen. Ich warte einen Moment, ob Rilla sich noch einmal umdreht und mich ansieht, aber das tut sie nicht.
    Als sie fort sind, liegt eine erdrückende Stille über dem Café. Ich beobachte sie durch das Fenster, sie halten sich aneinander fest, als würden sie gegen einen stürmischen Wind ankämpfen, rempeln sich gegenseitig an, während sie zur Bushaltestelle rennen. Ich atme tief durch, schnappe nach Luft, als wäre ich kurz vor dem Ertrinken.
    Ich sinke auf einen Stuhl. Mein Kopf dröhnt. Was ist passiert? Alles ging so schnell, dass mir ganz schwindelig ist. Ich habe das Gefühl, als wäre ich in den letzten Minuten gar nicht ich selbst gewesen. Als hätte eine fremde Macht von mir Besitz ergriffen. Warum habe ich Rilla nicht zugehört? Was ist mit Jocelyn? Ihre Stimme hallt in meinem Kopf wider. Bitte, Grace. Aber ist es nicht mein gutes Recht, wütend zu sein? Es ist schließlich

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