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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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hinunter, sodass ich ihn ansehen muss.
    »Grace.«
    »Hallo, Grace.« Er grinst und setzt sich an den niedrigen Tisch mir gegenüber. Ich frage mich, wann er endlich nach Marjorys Telefonnummer fragen und wieder verschwinden wird. Er blockiert mir die Sicht. Er sagt etwas zu Marjory, während ein Mädchen neben dem Fenster meine Aufmerksamkeit erregt. Sie trägt einen breiten, roten Gürtel um die schmale Taille, starrt in ihren Drink und kichert prustend.
    Marjory rammt mir den Ellenbogen in die Seite. »Tom hat gefragt, ob er uns einen Drink spendieren darf«, flüstert sie durch den Mundwinkel.
    »Aha.«
    »Ich habe gesagt, dass etwas zu knabbern ganz gut wäre. Zu trinken haben wir ja genug, oder?«
    »Stimmt.«
    Ein Mädchen in der Nähe zieht an ihrem Pferdeschwanz, sodass er strammer und höher sitzt. Dabei hält sie eine silberne Geldbörse zwischen den Lippen und sieht mich listig, katzenartig aus dem Augenwinkel heraus an. Das Selbstbewusstsein einer jungen Frau, der die Zukunft noch offen steht. Ich starre zurück und trinke schnell meinen Champagner; sprudelnd rinnt er durch meine Kehle. Marjory greift nach meinem Arm. Da Tom mir jetzt nicht mehr die Sicht versperrt, kann ich wieder auf die Stadt hinausschauen. Die sanften Lichter schimmern auf dem Wasser.
    »Hallo, Erde an Grace, alles klar?«
    »Hä? Ja. Alles bestens.« Ich proste ihr mit einem unsicheren Lächeln zu.
    »Der Typ hätte fast ein Loch in dich gestarrt, und du hast ihn gar nicht beachtet.«
    »Wie bitte? Wen?«
    »Tom. Der Typ mit dem Hut.«
    Ich sehe ihre glänzenden Lippen an, die klebrige Spuren auf ihrem Glas hinterlassen haben. »Bestimmt nicht. Der hatte doch nur Augen für dich.«
    Marjory sieht mich zweifelnd an. »Im Ernst, Grace, du hast nicht gemerkt, dass er an dir interessiert ist? Er hat dich die ganze Zeit angestarrt, vor allem deine Haare.«
    Tom kommt zurück. Diesmal schaue ich ihn mir genauer an. Er mustert mich grinsend. Ich sehe ihn leicht verschwommen, was vielleicht am Champagner liegt. Ich frage mich, was für eine Frisur er wohl unter dem Hut trägt.
    Er gießt uns Champagner ein, wirft Cashewkerne in die Luft und fängt sie mit dem Mund auf. Er redet, vor allem mit Marjory. Ich bekomme nur Bruchstücke der Unterhaltung mit. Er ist mit dem Cirque hier. Ja, er mag Macao. Nein, wir sind nicht alle Hippies, Sie wissen schon, ha, ha, ha. Die Unterhaltung plätschert dahin. Er bestellt uns Margaritas und erzählt, dass er aus Mexiko kommt. Er fragt mich, was ich mache. Ich erzähle ihm vom Lillian’s, und er beugt sich vor, die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Mir fällt nichts mehr ein, das ich sagen könnte, doch er hängt trotzdem an meinen Lippen. Dann holt Tom ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche, und Marjory nimmt eine. Sie sieht mich ausdruckslos an, ihre Augen wirken hinter dem Rauch wie Murmeln. Ich habe nicht gewusst, dass Marjory raucht. Dann bestellt Tom uns Mojitos und beobachtet, wie ich die Minze herausfische, die an der Oberfläche schwimmt.
    Als mein Kopf auf ein weiches, kühles Kissen fällt, höre ich mich wie aus weiter Ferne kichern. Ich spüre heiße Atemzüge über meinem Gesicht. Das Zimmer scheint sich langsam hin und her zu bewegen, wie ein sanft schlingerndes Schiff auf dem Meer. Ich lache wieder, und plötzlich ertönt Mamas kalte, schneidende Stimme.
    »Wo warst du?«
    Ich kicke einen Schuh von meinem Fuß auf den Boden. »Aus.«
    »Mit wem?«
    »Mit Freunden, Mama.«
    »Du bist betrunken.«
    Wenn ich nicken könnte, würde ich das, doch mein Kopf scheint an dem Kissen zu kleben. Wieder höre ich dieses Kichern.
    »Sternhagelvoll«, sagt sie bitter. Sie zieht mir den anderen Schuh aus und wirft ihn so fest in Richtung Wandschrank, dass er laut gegen die Wand knallt. »Mit was für Freunden?«
    »Ein paar Freunde eben.« Warum ist sie immer so misstrauisch? Es waren nur ein paar Mädchen aus dem Restaurant. Ich war noch nie eine ganze Nacht mit den Mädels unterwegs. Wir haben viel gelacht und uns von den Männern Drinks spendieren lassen. Eins der Mädchen hat eine Federboa von einer Schar Frauen bekommen, die einen Junggesellinnenabschied feierten. Ich habe sie den ganzen Abend um den Hals getragen wie ein Revuegirl.
    »Ich hätte dich gebraucht, Grace.«
    »Nein, hättest du nicht.« Ich lalle. Eine Feder kitzelt meine Lippen.
    »Doch, hätte ich. Du kannst nicht einfach so ausgehen.«
    »Scheiße, ich bin doch nur …«
    »Du sollst nicht fluchen.«
    »Scheiße, Mama«, sage ich

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