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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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mein Café, oder nicht? Sie haben mich ausgenutzt. Warum haben sie mir nicht gesagt, dass sie einen Schlafplatz brauchen? Warum spricht niemand mit mir? Meine Gedanken prallen unkontrolliert aufeinander.
    Ich reibe mir mit den Fingern die Schläfen. Ich sehne mich nach Armen, die mich halten. Einer Umarmung, einem Flüstern, einem Kuss aufs Haar. Nach jemandem, der mir sagt, dass alles gut wird. Dass ich das Richtige getan habe. Oh, Mama. Ich denke an ihre liebevollen Berührungen. Dann denke ich daran, morgens neben Pete aufzuwachen, wie früher. Warme Laken, der salzige Geschmack des Schlafs, seine Lippen auf meinem Haar, seine Hände auf meinen Brüsten.
    Ich verberge das Gesicht in den Handflächen und schluchze, dass meine Schultern beben.

Pardon – V ergebung
    Pflaume und Hibiskus mit einer Schokoladenganache
    Am Freitag hat sich Rilla nun schon seit drei Tagen nicht mehr blicken lassen. Gigi spricht kaum noch ein Wort mit mir, sondern fast ausschließlich Kantonesisch. Mit den Kunden, mit Yok Lan, mit sich selbst in der Küche. Ohne den kleinsten Versuch einer Übersetzung. Sie wirft mir verstohlene Blicke zu, in denen all die Dinge liegen, die sie nicht aussprechen will. Ich rufe Rilla an, doch ihr Telefon ist ausgeschaltet, oder sie hat keinen Empfang. Bis jetzt musste ich sie noch nie anrufen, sie war immer pünktlich und nie krank. Eines Morgens meine ich, sie auf der anderen Straßenseite zu sehen, als ich Yok Lan eine Tasse Tee bringe, doch als ich aufsehe, ist niemand mehr da, nur der Wind streicht durch das lange Gras.
    Ohne Rilla muss ich die doppelte Arbeit machen; meine Gliedmaßen schmerzen jeden Abend unerträglich. Ich bin oft in der Küche und arbeite fast stumpfsinnig vor mich hin, während Gigi bedient. Eines Tages höre ich, wie Léon mit samtiger Stimme einen Kaffee bestellt und Smalltalk mit Gigi macht. Sie bedient ihn mit kühler Freundlichkeit, während ich mich drei Stunden lang nicht aus der Küche wage. Ich würde es nicht ertragen, ihn jetzt zu sehen. Das wäre zu viel. Alles droht auseinanderzufallen. Ich fühle mich so abgekämpft und erwische mich dabei, wie ich zum Lagerraum hinüberschiele. Am liebsten würde ich mich auf den Boden legen wie Rilla und Jocelyn, mich zusammenrollen wie eine Feldmaus. Es ist so verlockend. Nur ein ganz kurzes Nickerchen, sich ausruhen und alles vergessen.
    Wenn Pete und ich miteinander reden würden, würde er mich vielleicht fragen, was los ist. Stattdessen sehen wir uns kaum. Wir kochen jeder für sich, gehen zu unterschiedlichen Zeiten ins Bett, sehen fern oder sitzen getrennt voneinander am Computer. Wir segeln auf einem stürmischen Meer aus Wut und Bedauern umeinander herum.
    Marjory erwischt mich auf der Toilette des Lillian’s, wo ich mein erschöpftes Gesicht im Spiegel betrachte. Sie zwängt sich an mir vorbei, um sich die Hände zu waschen, und wirft einen Blick auf meinen Kopf. Vielleicht denkt sie, ich würde nach grauen Haaren suchen, die dieser Tage nur so zu sprießen scheinen.
    »Das geht mir schon seit Jahren so«, sagt sie augenzwinkernd. »Was glaubst du wohl, warum ich sie mir färbe?«
    Selbst im trüben Licht der Toilette schimmert ihr Haar wie Gold. Ich hatte immer gedacht, dass es ihre Naturfarbe ist. Mama hat immer gesagt, dass Rothaarige oft gar keine grauen Haare bekommen, sondern über Nacht weiß werden. Wie durch Zauberei. Als kleines Mädchen habe ich mir immer vorgestellt, mit einer Mähne wie weiße Schokolade aufzuwachen. Ich frage mich, was mit Mamas Haar passiert ist.
    Marjory runzelt die Stirn über mein finsteres Gesicht. »Hey, ich will dich doch nur aufheitern.«
    »Sorry. Es war eine harte Woche. Gott sei Dank haben wir morgen geschlossen.«
    »Wegen der Parade?«
    Ich nicke. Unsere Straße wird für den Umzug der Olympia-Medaillengewinner gesperrt. Zum Glück. Ich brauche dringend eine Pause.
    Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht und hoffe, dass die Kälte mich belebt.
    Marjory reicht mir ein Handtuch. »Gigi hat mir von Rilla erzählt. Sie ist noch nicht zurückgekommen?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Scheiße.«
    »Ja.« Ich wische mir die Mascara unter meinen Augen ab und tupfe mir langsam Wasser und Make-up aus dem Gesicht.
    »Hat sie dir gesagt, warum sie hier geschlafen haben?«
    »Nein. Es ging alles so schnell.« Meine Stimme klingt schärfer, als ich es beabsichtigt habe. Das schlechte Gewissen sitzt mir wie ein Frosch im Hals.
    Marjory lehnt sich mit einem Stirnrunzeln gegen die Wand.

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