Der Duft von Tee
»Schade.«
Ich erinnere mich an die Geschichten, die man sich über Dienstmädchen erzählt, die Schmuck gestohlen haben. Über Kindermädchen, die mit Bargeld getürmt sind, die die Sparschweine der Kinder geplündert haben. Die getrunken, gelogen und noch Schlimmeres getan haben. Doch das war nur Geplapper über Milchkaffees und Cappuccinos. Ich glaube nicht, dass Rilla mich jemals bestohlen hat, aber ich habe das Gefühl, so gut wie nichts über sie zu wissen. Wie oft habe ich sie am Ende des Tages unsere Einnahmen in der Kasse zählen lassen – was, wenn sie einen Teil der Einnahmen eingesteckt hat? Warum hat sie so große Angst zurückzukommen, wenn sie sich nichts hat zuschulden kommen lassen?
»Ich will hier einfach keinen Ärger, Marj. Wenn du weißt, in was für Schwierigkeiten sie steckt, dann erzähl’s mir lieber nicht.«
Marjory runzelt weiter die Stirn. »Es ist nicht so, wie du denkst …«
Ich unterbreche sie. »Wirklich, ich will es nicht wissen. Ich habe schon genug um die Ohren und das hier, das Lillian’s«, meine Kehle wird eng, »ist der einzige sichere Ort, der mir geblieben ist.«
Marjory legt mir die Hand auf die Schulter.
»Entschuldige«, murmele ich.
»Hey, ist okay. Ich bin schon still. Das Lil’s gehört dir, du führst es so, wie du es für richtig hältst. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Du siehst erschöpft aus.«
Wir betrachten mein Spiegelbild, und ich muss an Gigis Kommentar von neulich denken.
»Willst du mir sagen, dass ich scheiße aussehe?«
Marjory grinst. »Absolut grauenvoll.«
»Danke.«
»Jederzeit. Dafür sind Freunde da.«
Ich muss einfach lachen.
Sie legt den Arm um mich und drückt mich. »Du und ich, wir brauchen einen Freitagsdrink«, erklärt sie.
Ich könnte ihr nicht mehr recht geben.
Jenseits des Fensters glitzert der mit Lichtern durchsetzte Nachthimmel. Marjory war auf der Toilette, ihre Lippen sind frisch geglosst und glänzen wie die Motorhaube eines neuen Autos.
»Wow, ich habe nicht gewusst, dass du so gerne Champagner trinkst«, sagt sie und wedelt mit der leeren Flasche vor den Augen des Kellners herum. Sie neigt scheinbar bewundernd den Kopf.
»Der ist ganz schön spritzig«, antworte ich. Meine Zunge ist schon ganz schwer.
»Stimmt.«
Wir sitzen gegenüber des Fensters, um eine so gute Aussicht wie möglich genießen zu können. Der Crystal Club liegt über 30 Stockwerke hoch und ist Macao zugewandt wie ein Tänzer seinem Partner. Die Lichter der Halbinsel spiegeln sich in den Fenstern und dem Wasser dazwischen. Das Publikum ist jung und gut gebaut; die Mädchen tragen eng sitzende Jeans und flatternde Blusen. Sie sind große Schilfrohre, die in der nächtlichen Brise schwanken. Ein junger Mann schwebt an mir vorbei und winkt. Er trägt einen Filzhut und eine Weste wie in den Dreißigern.
»Von hier oben ist Macao wunderschön«, seufzt Marjory. Der Kellner beugt sich in seiner schwarzen Uniform über uns und gießt Champagner aus einer neuen Flasche in unsere Gläser.
Macao ist wirklich wunderschön von hier oben. Wie es glitzernd aus der Dunkelheit auftaucht. Der Ausblick erinnert mich an die Party, auf der ich Léon zum ersten Mal begegnet bin. Die Erinnerung ist mir inzwischen so peinlich wie eine Teenagerschwärmerei und furchtbar unangenehm. Es war nur ein paar Stockwerke tiefer, im Aurora, und ist schon so viele Monate her. Es scheint, als hätte sich mein Leben seit diesem Abend dramatisch verändert. Gedanken an Rilla und meine kaputte Ehe steigen an die Oberfläche wie Bläschen in einem Champagnerglas. Ich lasse es nicht zu, mich in der Trauer zu verlieren, das ist mir heute zu anstrengend.
Der Typ mit dem Hut kommt wieder vorbei. Er guckt zweimal zu uns hin und lächelt mich nett an. Er hat sanfte, kohlschwarze Augen, karamellfarbene Haut und ein Muttermal mitten auf einer Wange.
»Ladys, wie geht’s?« Er lehnt sich gegen den Rücken der Couch.
Marjory sieht erst ihn und dann mich an. Ich starre in mein Glas und erinnere mich an den Champagner, den Pete und ich in den Flitterwochen getrunken haben. Die Füße im warmen Sand vergraben beobachteten wir, wie die Sonne im Ozean unterging. Petes Küsse schmeckten nach Ananas; ich erinnere mich an sein Lachen in meinem Ohr, seinen Arm um meine Schulter.
»Danke, und selbst?«, antwortet Marjory höflich.
»Sehr gut. Es ist eine fantastische Nacht«, sagt er wehmütig. »Ich bin Tom.«
»Marjory.« Sie schüttelt ihm die Hand.
»Und Sie?« Tom beugt sich
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