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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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flehentlich, dann wird mir klar, dass ich schon wieder geflucht habe.
    »Du darfst nicht so mit mir reden. Ich bin deine Mutter. Nicht in diesem Ton!« Ihre Stimme wird immer lauter.
    »Okay, okay, flipp nicht gleich aus.«
    »Du kannst nicht einfach so ausgehen!« Jetzt ist ihre Stimme sehr schrill.
    Ich rolle mich auf den Rücken, das Zimmer scheint sich mit mir zu bewegen. Ich lege mir die Hand auf die Stirn.
    »Ich bin verdammt noch mal zwanzig Jahre alt, Mama. Da kann ich ja wohl mal ausgehen und ein paar Drinks kippen.«
    »Du hast mich nicht mal angerufen!«
    Langsam rastet sie aus. Ihre Stimme ist laut und hoch und verzweifelt, als würde sie von einer Klippe stürzen.
    »Mama …«
    »Ich hätte dich gebraucht!«
    »Mama, beruhig dich. Es war nur ein Abend. Ich war nicht auf dem Mond. Ich war in einem Pub. In einem verdammten Pub. In Islington.«
    Ich höre die Schluchzer aus der Dunkelheit. Normalerweise würde ich sie trösten, doch heute Abend bin ich müde und betrunken und wütend. Eins der Mädchen fliegt in die Ferien nach Lanzarote. Sie hat davon geschwärmt, mit einem Buch und einem Cocktail am Strand zu liegen. Ich konnte das Kokosnussöl praktisch riechen. Die Sandkörner auf ihrem Rücken spüren.
    »Was willst du machen, wenn ich nicht da bin?«, frage ich garstig.
    Mama hört auf zu weinen. »Wie meinst du das?«
    »Wenn ich zum Beispiel mal in den Urlaub fahren will oder so.«
    Sie beginnt zu zittern; ich fühle es durch die Bettdecke.
    »Wo willst du hin?« Es klingt wie ein Vorwurf.
    »Keine Ahnung. Lanzarote. Griechenland. Vielleicht Australien.« Eigentlich will ich überhaupt nicht wegfahren; ich sage nur das Erstbeste, was mir einfällt. Weit entfernte Orte. Orte mit Sonne und salzigem Meerwasser.
    »Australien?« Mama ist jetzt ziemlich hysterisch, als würde sie nur noch an einem Arm über der Klippe hängen. »Australien?« Sie kreischt fast.
    »Reg dich ab, Mama.« Ich bedauere, überhaupt etwas gesagt zu haben. Das waren die Piña Coladas, sie haben meine Zunge gelöst. Sie springt vom Bett auf. Ich kann sie in der Dunkelheit nicht richtig sehen, aber ich spüre die Kraft ihrer Wut.
    »Wenn. Du. Nach. Australien. Gehst …«, sagt sie langsam und mit einem Zittern bei jedem Wort. »Brauchst. Du. Nicht. Mehr. Wiederzukommen.«
    Jetzt ist mir nicht mehr nach Kichern zumute, sondern schlecht. Ich versuche mich aufzusetzen, mein Kopf sitzt wie ein Zehntonnengewicht auf meinem Hals.
    »Mama …«
    »Du hast mich schon verstanden, Grace Raven. Wenn ich dir egal bin, wenn du nicht bei mir sein willst, dann geh. Lass mich einfach zurück.«
    »Mama!«
    »Hau ab, und komm nicht wieder!« Sie stürmt aus dem Zimmer. Die Hitze ihrer Wut scheint den ganzen Raum zu erfüllen. Die Luft knistert. Mir ist übel. Ich beuge mich über die Bettkante, sehe einen Blumentopf, die Blumen sind längst vertrocknet. Ich greife gerade noch rechtzeitig danach, dann würge ich drei Piña Coladas in die vertrocknete Erde hoch.
    Als ich aufwache, rieche ich den Zitronenduft der frischen, weißen Laken. Alles ist hell und freundlich. Ich höre jemanden stöhnen, dann wird mir klar, dass ich es selbst bin. Das Geräusch einer klappernden Tastatur aus einem anderen Raum bohrt sich in mein Gehirn. Ich drehe mich herum. Neben mir liegt ein Stapel weicher Seidenkissen in Kaffee- und Schokoladentönen. Die Gedanken in meinem Kopf sammeln sich wie Zucker auf dem Boden eines Teeglases.
    »Bist du wach?«
    Ich fahre herum, Marjory lehnt im Türrahmen. Sie trägt ein graues T-Shirt und eine flauschige, weiße Jogginghose. Sie hat das Haar hochgesteckt. Und sieht mich argwöhnisch an.
    »Umm, ja.« Ich drehe mich um und setze mich auf. Ich habe ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer wunderschönen schwarzen Jazzsängerin an. Sie hat glitzernde, tomatenrote Lippen. CHICAGO BLUES CLUB , meine ich zu entziffern. Verkehrt herum zu lesen verursacht mir eine leichte Übelkeit.
    »Das gehört Don«, erklärt Marjory. Sie sitzt auf der Bettkante. Ich sehe mich um. Hier ist fast alles weiß. Weiße Vorhänge, eine weiße Bettdecke; nur ein paar farbige Kissen und ein schicker, mokkafarbener Teppich mildern das grelle Weiß etwas ab. Meine Augen tun weh, sodass ich sie wieder schließe. Ich erinnere mich an den Leberfleck auf Toms Gesicht.
    »Was ist passiert?« Ich öffne die Augen wieder, und mir ist so schwindelig, dass ich mich an der Bettkante festhalten muss.
    »Wir waren betrunken«, antwortet sie. »Also, du warst richtig

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