Der Duft
der irgendwie seinen Sarkasmus wiedergefunden hatte. »So kommen wir vielleicht ins Fernsehen!«
Idiotischerweise musste Marie über diese Bemerkung lachen. Ihr ganzer Körper schüttelte sich in hysterischen Krämpfen, während
ihre Tränen auf die raue Ladefläche tropften.
Das kleine Mädchen spielt in der Küche mit Hegi, seiner Puppe. Es duftet nach Hühnerbrühe. Die Mutter ist dabei, den Tisch
zu decken. Es macht ein sorgenvolles Gesicht, als sei es sich nicht sicher, ob es etwas Verbotenes tut, indem es die Teller
auf den Tisch stellt.
»Darf Hegi auch etwas von der Suppe haben?«, fragt das Mädchen. Sie weiß natürlich, dass Puppen nicht richtig essen können.
Sie will nur so tun, als ob.
Ihre Mutter antwortet nicht. Sie lächelt auch nicht. Das Mädchen kann sich noch daran erinnern, dass die Mutter früher oft
gelächelt hat. Das war schön.
|208|
Das Mädchen wendet sich wieder ihrer Puppe zu. »Natür
lich
bekommst du auch Suppe, Hegi«, sagt sie in ernstem Ton. »Aber du musst schön brav deinen Teller leer essen und dich gut benehmen.
Sonst schimpft Mami mit dir!«
Ein Geräusch lässt sie aufblicken. Der Deckel auf dem Kochtopf klappert auf und ab. Sie ist verblüfft. Wieso hüpft der Deckel
ganz von selbst auf dem Topf herum? Das sieht so lustig aus, dass sie lachen muss. Ihre Stimme schallt hell durch die Küche.
»Hör auf!«, fährt die Mutter sie an. »Hör sofort auf zu lachen!«
Aber der Deckel klappert einfach weiter. Sein Tanz wird sogar noch viel wilder, und das kleine Mädchen lacht noch lauter.
Sie kann gar nicht mehr aufhören.
»Sei endlich still!« Der Schrei ihrer Mutter ist so schrill, dass es in den Ohren wehtut. Das Lachen bleibt dem Mädchen im
Halse stecken. Tränen schießen in ihre Augen.
Die Mutter starrt sie an. »Ich weiß genau, warum du über mich lachst!«, sagt sie mit einer leisen, bösen Stimme, die nicht
ihre zu sein scheint.
Das Mädchen versteht nicht, was die Mutter meint. Es hat doch nur über den Deckel gelacht, der immer noch fröhlich auf dem
Topf tanzt.
»Ihr lacht alle über mich!«, sagt die Mutter, und plötzlich weint sie. »Ich weiß genau, warum ihr alle über mich lacht!«
»Nein, Mami!«, ruft das Mädchen und läuft zu ihr. Sie versucht ihr zu erklären, warum sie gelacht hat, doch ihre Mutter lässt
sich nicht trösten. Sie sitzt schluchzend da, das Besteck für das Mittagessen noch in den Händen.
»Dummer Topf!«, ruft das Mädchen. »Dummer, dummer Topf!« Sie dreht an den Knöpfen des Herds, wie ihre Mutter es macht, und
irgendwann hört der dumme Topf auf zu klappern. Doch ihre Mutter weint immer noch.
Da beschließt das kleine Mädchen, nie mehr zu lachen.
|209| Aus Maries hysterischem Lachen waren längst Weinkrämpfe geworden. Rafael schob seinen Körper näher an sie heran. Er war an
die gegenüberliegende Strebe gefesselt, sodass er sie nicht berühren konnte, aber sein Gesicht war dicht vor ihrem. Sie konnte
seinen Atem spüren. »Marie«, sagte er. »Ich … Wir beide kommen heil aus dieser Sache raus, das verspreche ich dir!«
Sie drehte den Kopf zur Seite. Sie wollte nicht getröstet werden. Sie wollte sich keine idiotischen Hoffnungen machen.
Die Fahrt dauerte etwa eine Stunde. Marie konnte über die Ladekante hinweg sehen, dass sie weiter der Hauptstraße nach Norden
folgten. Irgendwann bogen sie wieder in einen Feldweg ein. Nach ein oder zwei Kilometern hielten sie an einer Wiese. Marie
konnte zunächst den Grund für den Stopp nicht erkennen. Sie hörte Stimmen in einer kehligen, wie Arabisch klingenden Sprache.
Dann erschien das Gesicht des Fahrers mit dem Kopftuch an der rückwärtigen Ladeklappe. Er löste die Kette, mit der sie an
die Ladefläche gefesselt war. Ein weiterer Araber und ein Ostafrikaner zerrten sie vom Wagen. Niemand sprach ein Wort.
Jetzt sah sie einen großen Militärhubschrauber, der auf einem Acker neben der Straße gelandet war. Rafael und Marie wurden
in den Helikopter gestoßen und dort auf den Boden geworfen. Zwei der Entführer hockten sich auf flache Bänke an den Seitenwänden
und schnallten sich mit Gurten an. Sie sahen nicht so aus, als würden sie zögern, ihre Maschinenpistolen einzusetzen.
Der Motor des Hubschraubers begann zu dröhnen, und die ganze Maschine erbebte. Sie hoben ab. Da Marie nicht aus dem Fenster
sehen konnte, hatte sie keine Ahnung, in welche Richtung es ging.
Der Flug zog sich hin, und das monotone Dröhnen
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