Der Duke, der mich verführte
eine Weile gedauert, es inmitten all der Kisten zu finden, aber hier ist es.“
Überrascht, dass er nicht längst zu Bett gegangen war, setzte Justine sich auf. Es war weit nach seiner üblichen Schlafenszeit. Zudem hatte er sich noch nicht wieder ganz von seinem langen Aufenthalt in Marshalsea erholt. Der kurze Spaziergang, den sie heute Mittag durch den Hyde Park gemacht hatten, hatte ihn völlig erschöpft. Immerhin aß er wieder ordentlich.
Sie lächelte, hocherfreut, ihn zu sehen. „Aufgeregt?“
Er nickte. „Ja, aber auf gute Weise. Kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass meine Tochter eine Duchess wird.“
Sie deutete auf das Buch, das er mitgebracht hatte. „Und was ist das? Meine allerletzte Gutenachtgeschichte?“
Er lachte vergnügt. „Oh nein. Nein, nein.“ Er kam zu ihr herüber und legte das Buch neben sie aufs Bett – auf die kleine Benimmfibel, die ihre Mutter ihr eben gegeben hatte –, und klopfte begeistert darauf. „Eines meiner frühen Werke. Vor Südafrika. Dieses Buch hat den Duke letztlich davon überzeugt, meine Arbeit zu fördern. Der gute Mann war damals gerade mal einundzwanzig, hatte aber schon immer den richtigen Riecher. Und er hat sich was getraut.“ Sichtlich vergnügt fuhr er sich durchs mittlerweile ergraute Haar. „Du solltest dir das vor dem Einschlafen noch schnell durchlesen“, meinte er mit Blick auf das Buch. „Könnte sich in allen Belangen des Ehelebens als hilfreich erweisen.“
Nur mit Mühe konnte Justine sich ein Lachen verkneifen. Ihre Eltern hatten allem Anschein nach recht unterschiedliche Vorstellungen davon, wie man sich als Duchess betragen sollte. Und obwohl sie wusste, dass der Rat ihrer Mutter eher den Konventionen der Londoner Gesellschaft entsprach, konnte sie es doch kaum erwarten, einen Blick in das Buch zu werfen, das Bradford einst dazu bewegt hatte, ihren Vater all die Jahre zu unterstützen.
Lächelnd blickte Justine auf das Buch, das ihr Vater ihr eben wärmstens empfohlen hatte. Doch als ihr Blick auf den goldgeprägten Titel fiel, stutzte sie. „Grundlagen der Tierzucht?“ Grundgütiger. „Ähm … ja, sehr schön. Danke.“
Wie beschämend wäre wohl zutreffender gewesen. Wenn nicht gar entwürdigend. Was dachte ihr Vater sich bloß dabei, sie mit Schafen, Kühen und Pferden gemeinzumachen? Hatte er doch während der letzten Jahre das Treiben weitaus interessanterer Säuger erforscht, mit denen sie sich lieber verglichen sähe. Und was sagte es über Bradfords Vorlieben aus, an einem solchen Werk Gefallen gefunden zu haben?
Ihr Vater räusperte sich. „Die Illustrationen sind ziemlich gut. Sehr detailliert. Bei einem Mann mit der Reputation des Dukes dürfte es sich dir als nützlich erweisen. Leider kann ich es dir nicht überlassen, weil ich nur ein Exemplar habe. Lies es also noch heute Nacht und gib es mir morgen früh zurück.“
Alles, was ihr helfen würde, Bradford und seine Vorlieben besser zu verstehen, war ihr herzlich willkommen, wollte sie doch weder ihn noch sich selbst in der Hochzeitsnacht enttäuschen.
Wobei ihr einfiel … Verlegen kaute sie auf ihrer Unterlippe. „Ähm … Vater?“ Sie sah ihn an. „Dürfte ich dir eine etwas heikle Frage stellen?“
Er zog seinen Rock straff und schien sichtlich stolz darauf zu sein, ihr von Nutzen zu sein. „Nun, das kommt aber überraschend, liebe Tochter. Seit du zwölf bist, hast du mir keine heiklen Fragen mehr gestellt.“
Sie lachte. „Das brauchte ich auch nicht, denn du bist dafür berüchtigt, alle heiklen Fragen zu beantworten, noch ehe sie sich überhaupt stellen.“
„Da hast du allerdings recht“, sagte er und nickte. „Wie lautet denn deine Frage?“
Nun verging ihr das Lachen und sie räusperte sich verlegen. „Gibt es Männer, die … ähm … gewisse Vorlieben beim Kopulieren haben, die … nun ja, irgendwie abnormal sind? Ich meine obsessive Begierden, die einer Frau Anlass zu Besorgnis geben müssten?“
Seine buschigen Brauen schossen in die Höhe. „Weshalb fragst du?“
Sie zuckte die Achseln, wollte sie doch nicht preisgeben, was Bradford ihr anvertraut hatte. Sie hatte das Gefühl, dass sie besser nicht jeden davon wissen lassen sollte, schon gar nicht ihren Vater. „Nur so. Aus Neugier.“
Lord Marwood strich über seine Rockaufschläge, kratzte sich dann das Kinn und dachte nach. „Meiner Erfahrung nach reden Männer, die ein abweichendes Kopulationsverhalten an den Tag legen, äußerst ungern darüber, weshalb sich auf
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