Der Duke, der mich verführte
dunklen Augen doch mit einem so belustigten Funkeln auf sie gerichtet, dass es Justine in ehrfürchtiges Staunen versetzte. Bradfords Mutter. Die letzte Duchess. Die sie niemals kennengelernt hatte, war sie doch schon vor vielen, vielen Jahren gestorben, als Bradford siebzehn gewesen war. Wie seltsam, dass Bradford so selten von ihr sprach. Auch seinen Vater, dessen Porträt draußen im Korridor hing, erwähnte er so gut wie nie.
Justine riss sich von dem Bildnis los, das sie ganz in seinen Bann gezogen hatte, und trat an Bradfords Schreibtisch. Bedächtig strich sie über das glatte Holz, als sie ihn einmal umrundete und sich fragte, wie oft Bradford wohl schon an diesem altehrwürdigen Schreibtisch gesessen hatte.
Ein schwerer, ledergepolsterter Stuhl stand etwas zurückgesetzt hinter dem Tisch und schien nur darauf zu warten, dass jemand auf ihm Platz nahm. Justine ließ sich darauf nieder, getrieben von dem Wunsch, Teil von Bradfords Lebens zu sein, von dem sie so wenig wusste. Zwischen den hohen Armlehnen kam sie sich jedoch ziemlich klein und verschwindend unbedeutend vor. Von ihrem Platz aus betrachtete sie die säuberlich geschichteten Papierstapel – vor allem Korrespondenz –, wobei ihr gar nicht entgehen konnte, wie tadellos geordnet alles war. Der Schreibtisch ihres Vaters war nie so aufgeräumt gewesen.
Sie rückte den Stuhl vor und straffte die Schultern. Ein schelmisches Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie überlegte, ob sie nicht ihren Eltern einen Brief schreiben und ihn mit ihrem neuen Namen – Duchess of Bradford – unterzeichnen sollte. Sie wählte eine Feder aus dem Messinghalter aus, nahm einen Briefbogen von einem der feinsäuberlichen Stapel und legte ihn vor sich hin.
Gerade wollte sie die Spitze der Feder ins Tintenfass tauchen, als die Tür zum Arbeitszimmer sich mit einem leisen Knarren schloss. Sie hob den Blick vom leeren Blatt und bemerkte zu ihrem größten Erstaunen Bradford, der sich ihr forschen Schrittes näherte.
Er war makellos gekleidet in einen vollendet sitzenden grauen Rock, eine brokatene Weste mit Messingknöpfen und eine eng geschnittene dunkle Hose, die sich an seine muskulösen Beine schmiegte. Den Abschluss bildete ein Paar blank polierter schwarzer Lederstiefel. Er sah umwerfend aus, doch dass sie kaum den Blick von ihm lassen konnte, war nicht allein seiner äußeren Erscheinung geschuldet, sondern vor allem seinen geschmeidigen und doch so kraftvollen Bewegungen.
Bei ihr angelangt, stützte er beide Hände auf den Schreibtisch, beugte sich darüber und warf einen Blick auf den leeren Briefbogen, den sie vor sich liegen hatte. „Guten Abend.“
Sie steckte die Feder wieder in den Halter, stieß den wuchtigen Stuhl zurück und erhob sich rasch. „Nun, da du hier bist, dürfte es wirklich ein guter Abend werden.“ Lächelnd sah sie ihn an. „Ich hatte mich schon gefragt, ob ich dich jemals wieder zu Gesicht bekäme. Wie geht es dir?“
Er tat ihre Frage mit einem gleichmütigen Schulterzucken ab.
„Ich wollte gerade meinen Eltern schreiben“, beeilte sie sich fortzufahren. „Natürlich könnte ich ihnen auch einfach einen Besuch abstatten, was ich demnächst ohnehin vorhabe, aber ich dachte mir …“
„Du musst mir nichts erklären. Es freut mich, dass du dich so gut einlebst. Allerdings muss ich gleich noch ein paar Dinge mit meinem Sekretär regeln, weshalb ich den Abend außer Haus sein werde.“ Er holte tief Luft und schaute sie an. „Ich wollte mich für mein Verhalten vorige Nacht entschuldigen. Ich hätte bei dir bleiben sollen. Wir hätten die Ehe vollziehen sollen. Wenn es noch ebenso dein Wunsch ist, wie es der meine ist, komm heute Abend um neun in mein Zimmer. Ich erwarte dich.“ Mit einem kurzen Nicken richtete er sich auf und wandte sich zum Gehen.
Das Blut schoss ihr in die Wangen. Sie blinzelte heftig. Würde so fortan ihr Leben sein? Ein Leben kurzer Begegnungen, flüchtiger Unterhaltungen und nächtlicher Besuche im Schlafgemach, wenn ihm gerade der Sinn danach stand? Ihr war ja bewusst, dass er mit ihr eine Vernunftehe führte, aber gar so vernünftig musste es doch nun wahrlich nicht zugehen!
Justine folgte ihm. „Es kommt mir so vor, als wolltest du mir aus dem Weg gehen. Warum? Was ist los? Habe ich etwas falsch gemacht?“
Wie angewurzelt blieb er stehen, drehte sich langsam zu ihr um und musterte sie.
Sie wartete darauf, dass er endlich etwas sagte. Zumindest machte er den Anschein, als wollte er etwas sagen.
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