Der Duke, der mich verführte
Blick ab und zuckte die Achseln. „Ich weiß. Ich … mache mir nur Sorgen. Gestern Abend wurde mir erst so richtig bewusst, dass er niemanden hat, der sich um ihn kümmert.“
Matilda seufzte erneut, warf ihre Serviette auf den Tisch und erhob sich schwerfällig. So flink es ihr in ihrem Zustand möglich war, kam sie zu Justine herüber, blieb neben ihr stehen, nahm ihre Hand und meinte: „Aber Sie haben nun mich. Das wissen Sie doch, oder?“
Lächelnd blickte Justine auf die Hand, welche die ihre so fest umschlossen hielt. Sie erwiderte die Geste und erhob sich ebenfalls. „Ja, das weiß ich.“
Matilda ließ sie los und betrachtete sie aus traurigen blauen Augen. „Lieben Sie ihn denn?“
Justine schluckte. Obwohl sie ihn sehr wohl liebte, ihn von ganzem Herzen liebte, wagte sie nicht, es laut auszusprechen, würde sie sich damit doch nur noch verletzlicher fühlen, als sie es ohnehin schon tat.
„Das sollten Sie nicht.“ Matilda fasste sie bei den Armen und zog sie an sich. „Er hat es nicht verdient. Kein Mann ist Ihrer Liebe würdig. Eine Frau kann ihr Glück auch anders finden.“
„Wie denn?“, murmelte Justine trübsinnig.
„So zum Beispiel.“ Matilda beugte sich vor und streifte Justines Mund mit dem ihren. Leidenschaftlich schob sie ihre Zunge zwischen Justines Lippen und ließ sie in ihrem Mund kreisen, fuhr mit den Händen durch Justines Haar und löste die Nadeln, die ihre dichten Locken hielten.
Justine erstarrte. Ihr schwindelte. Was ging hier gerade vor sich?
Das Haar fiel ihr offen über die Schultern, und Matildas Kuss wurde immer fordernder.
In blinder Hast packte Justine Matildas Hände, stieß sie von sich und taumelte keuchend zurück. „Was …?“
Ein kühler Lufthauch prickelte auf ihren erhitzten Lippen. Im ersten Moment brachte Justine es nicht einmal über sich, Matilda auch nur anzuschauen – geschweige denn, sich zu rühren.
Matilda hatte sie geküsst.
Mit der Dringlichkeit eines Mannes!
„Verzeihen Sie mir“, flüsterte Matilda schließlich mit rauer Stimme. „Ich … das hatte ich schon lange tun wollen. Vom ersten Moment an, da wir uns begegnet sind. Aus den Beobachtungen Ihres Vaters hatte ich geschlossen, dass Sie es verstehen würden. All die Jahre habe ich mich mit Männern abgegeben, weil die Gesellschaft das von mir erwartet. Aber damit ist es nun genug. Ich ertrage es nicht länger. Ich verabscheue mich selbst, mir und anderen so lange etwas vorgemacht zu haben. Das eben, das ist es, was ich wirklich will.“
Justine schluckte und wich noch etwas weiter zurück. Verstohlen sah sie sich nach den Lakaien um, die ohne mit der Wimper zu zucken auf ihren Plätzen verharrten. Manch einem hatten sich die milchbärtigen Wangen gerötet, doch ihre Blicke hielten sie starr geradeaus gerichtet, wie es sich für ihre Stellung gehörte.
Matilda schien sich keinen Deut darum zu scheren, was sie von ihr dachten. Hatte Justine sie ermuntert, dies zu tun? Hatte Matilda irgendetwas falsch verstanden?
Noch immer sah Matilda sie sehnsüchtig an. „Es macht mir nichts aus, dass Sie verheiratet sind und das Bett mit ihm teilen müssen. Wir können trotzdem unseren Spaß haben, Justine. Er muss ja nichts davon wissen.“
„Ich … oh Gott. Matilda …“ Justine schüttelte den Kopf. Und konnte gar nicht mehr damit aufhören. Ihr wollten einfach nicht die richtigen Worte einfallen. Ihr Herz gehörte Radcliff. Sie gehörte ihm mit Herz, Leib und Seele und würde ihn niemals betrügen. Weder mit einer Frau noch mit einem Mann. Mit niemandem.
Matilda nickte bedächtig, als hätte sie Justines Gedanken lesen können, und trat einen Schritt zurück. „Ich will Sie nicht mit meinen eigenen Bedürfnissen bedrängen. Ich weiß, es ist schändlich, eine andere Frau zu begehren. Aber ist es nicht noch viel schändlicher, dass ich mir der Gesellschaft wegen jahrelang mein Glück versagt habe? Ich … verzeihen Sie, Justine. Ich hätte Sie nicht küssen sollen. Ich …“ Sie drehte sich um, raffte ihre Röcke und eilte schweren Schrittes davon.
Justine stand wie vom Donner gerührt und berührte ihre Lippen, die noch immer von Matildas überraschendem Kuss brannten. Was sollte sie jetzt tun? Sie konnte es Radcliff unmöglich erzählen. Er wäre außer sich vor Wut und würde Matilda umgehend vor die Tür setzen. Und was sollte dann aus ihr und dem Kind werden?
Oh Gott. Sie musste Radcliff finden. So durcheinander wie sie war, wollte sie nicht allein sein. Wie sollte sie
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