Der Dunkle Code
nie gut gefallen, auf welch geheimnisvolle Weise die Vatikanischen Museen ihre Kunstkäufe tätigten.
Kanzleichef Simonis seufzte erleichtert auf; er war äußerst gespannt gewesen, ob das italienische Innenministerium die Summe bezahlen musste oder ob die Kirche einsprang. Würde das Geld dem Staatshaushalt entnommen, käme das den Medien zu Ohren. Die Konten des Vatikans hingegen waren nach wie vor geheim.
»Und um Kleingeld geht es hier ja«, sprach Frau Buretti weiter. »Die geringe Lösegeldforderung ist mir absolut rätselhaft. Für den Caravaggio könnte man leicht die zwei- oder dreifache Summe oder noch mehr verlangen.«
Die anderen stimmten in die Verwunderung nicht ein, sondern wirkten zufrieden.
»Ich danke dem Herrn Kardinal«, sagte der Kanzleichef. »Und ich bitte Sie, Seiner Heiligkeit meinen Dank zu übermitteln. Wir werden den Vorgang vollkommen geheim halten. Die Öffentlichkeit wird nicht den geringsten Hinweis erhalten, dass wir Lösegeld gezahlt haben. Derzeit bemühen sich sämtliche Polizeikräfte des Staates darum, die Täter zu finden. Unsere nächste Chance zur Ergreifung ist die Lösegeldübergabe. Den Einsatz leitet Leutnant Bari.«
»Danke, Herr Kanzleichef«, sagte Bari und merkte, dass der Carabinieri-Offizier ihn wütend ansah. »Alle Anwesenden dürften sich darüber im Klaren sein, dass der Drohbrief geheim gehalten wird. Sollte etwas davon in die Medien gelangen, wissen wir, dass die Information aus diesem Raum stammt. Dann werde ich mich gezwungen sehen, interne Ermittlungen einzuleiten. Jeder von uns weiß, was das bedeutet.«
»Danke, Herr Leutnant«, sagte Simonis schnell und sah auf die Uhr. »Wir werden den Raum nicht verlassen, bevor wir eine neue Nachricht von den Tätern erhalten haben.«
Dietrich Gruber sah auf die Uhr und fragte sich, was die Polizei derzeit wohl unternahm, um ihn zu finden.
Er spähte in die Küche der Villa Mariluce und stellte fest, dass Achim auf der Matratze auf dem Fußboden schlief. Oder so tat als ob, denn bei dem kräftig gebauten Mann konnte man nie wissen. Dietrich traute Achim trotzdem mehr als den Italienern; er selbst hatte den gebürtigen ukrainischen Jungen vor dem bayerischen Jugendgefängnis gerettet und ausgebildet.
Aus dem Garten drangen die Geräusche der Zikaden herein, irgendwo maunzte eine Katze. Eigentlich mochte Dietrich Katzen, aber ein Haustier vertrug sich nicht mit seinem Leben, zu dem viele Reisen gehörten. Dietrich Gruber hatte nämlich zwei Wohnungen: eine in Bayern und eine in Paraguay.
Als Nächstes warf er einen Blick ins Wohnzimmer. Im fünften TV-Programm lief ein Quiz, aber Lorenzo und Giuliano Megúcci verfolgten es nicht mehr, sondern waren auf dem Sofa eingeschlafen. Dietrich verzog die schmalen, farblosen Lippen zu einem Lächeln und kehrte in den Keller zurück. Es musste die nötige Portion Vertrauen vorhanden sein – und die richtige Menge an Misstrauen. So hatte es sein Vater Heinrich Gruber immer formuliert.
Dietrich bewunderte seinen Vater. Der alte Heinrich war gestorben, als Dietrich zehn war. Als er noch lebte, hatte er ihn oft auf den Schoß genommen und zuerst das kleine Einmaleins und einige grundlegende Gleichungen abgehört und ihm dann vertrackte mathematische Aufgaben gestellt. Die Mathematik und ihre Rätsel waren dem alten Versicherungsmathematiker das liebste Hobby – nicht umsonst hatte SS-Oberstleutnant Adolf Eichmann ihn seinerzeit engagiert, um unter anderem die Treibstoffkosten für den Transport Hunderttausender Menschen mit der Deutschen Reichsbahn zu berechnen. Die Transporte sollten möglichst billig vonstatten gehen, damit Treibstoff für die Kriegsanstrengungen gespart wurde.
Aber seine eigentliche Heldentat hatte Heinrich in den letzten chaotischen Kriegstagen geleistet, als die SS-Elitetruppen den Auftrag erhielten, die riesigen Gold-, Währungs- und Kunstschätze des Dritten Reiches zu verstecken.
Dietrich Grubers Puls schlug schneller. Sein Vater war bei der historischen Operation dabei gewesen, die noch immer nicht abgeschlossen war. Dietrich würde sie nun zum Abschluss bringen. Er war auf einer Spur, die er nicht mehr aufgeben würde. Oder war es doch ein Holzweg? Hatte er die Fragmente im Tagebuch seines Vaters falsch interpretiert?
Dietrich lauschte noch einen Moment. Oben war nichts zu hören, außer dass Lorenzo zu schnarchen begonnen hatte. Mit einer komplizierten Zahlenkombination öffnete er den Tresor und nahm die neuere Leinwand heraus, die er am
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